Am Anfang war das Pst. Immerhin musste im Pantheon Ruhe einkehren, Konzentration, Aufmerksamkeit für den Kunstunterricht der strengen, resoluten Frau Mateur. Gerade sitzen, Klappe halten und malen. Nach Zahlen. Lektion eins: Schwarz. Die Lehrerin macht es an ihrem geliebten Overhead-Projektor vor, füllt, begleitet von ihren beiden Musikschülern Christoph Schenker (Cello) und Kim Efert (Gitarre), ein Quadrat präzise aus und zeigt die bei dieser scheinbar monotonen Tätigkeit mögliche Begeisterung beim Erreichen des erregenden rechten Winkels. Genau so geht das, genau so! Jetzt nachmachen, und zwar in Stillarbeit! Damit Frau Mateur Zeit für wichtigere Dinge hat. Zum Beispiel das Singen.
In diesem Bereich macht keiner Annamateur (eigentlich Anna-Maria Scholz) etwas vor: Die stimmgewaltige Dresdnerin, die etwa bei dem Blues „Black Coffee“ gesanglich ohne weiteres mit Sarah Vaughan
und Ella Fitzgerald mithalten kann, schmettert, faucht, groovt, scattet und bezaubert – und zwar diesmal, ohne schwarzzumalen. Das wäre zu einfach. Jetzt kommen musikalische Grautöne dazu,
während die große Diva Gesellschaftskritik übt, Konformität und Einengung anprangert, von der „Gefühlspolizei“ singt oder beinah mitleidig von Schneeflittchen und anderen missbrauchten Gestalten.
Dabei verweigert sich Annamateur konsequent jeder Einordnung: Ein Bruch folgt dem anderen, wenn die Stimmung zu ernst wird, legt Frau Mateur eine mit Nonsens gefüllte Pause ein – oder eine neue
Folie auf. Malen nach Zahlen ist schließlich nur was für die Klasse. Lady Anna kann mit deutlich mehr aufwarten, skizziert zu Kriegsgeräusch-Effekten aus der Mateur-Kehle ein Piss-Gemetzel, gibt
ihren beiden Außensaitern eine gemalte Psycho-Notation vor oder zeichnet ein Selbstportrait, das dann durch diverse Schönheitsoperationen aufgewertet wird und am Ende an eine Zeichnung von
Alien-Schöpfer H.R. Giger erinnert. Anarchische Fantasie in Reinkultur, eine Punkperformance gegen jede Art von Einheitsbrei. Und nur das Chaos erteilt die Absolution.
Ob sie sich als Selbststalker tote Katzen auf die eigene Fußmatte legt, sich eine Handytasche in ihre Achselhaare webt oder einen Kauderwels in der Buchstabensuppe schwimmen sieht: Annamateur und
ihre beiden großartigen Außensaiter sind vieles, aber nicht gewöhnlich. Schräg, verrückt, einfach genial – das wahrscheinlich beste Musikkabarett-Trio der deutschen Kleinkunstszene besteht aus
Regelbrechern, die es wagen, beim Malen mit Zahlen schon in Lektion zwei zu den Bunt- statt zu den Bleistiften zu greifen, in unvollständigen Sätzen zu reden und einen Schneemann aus mehr als
drei Kugeln zu bauen. Die über den Rand hinausmalen und schauen, was dahinter liegt. Und dafür eigentlich eine Eins verdienen. Mit Sternchen.
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