Männer, so heißt es, werden mit zunehmendem Alter immer interessanter. Für manche Frauen gilt das anscheinend auch. Etwa für die inzwischen auf deutschen Bühnen schmerzlich vermisste Ina Deter. Oder für Anne Haigis, deren einst klare Stimme inzwischen whiskeyschwanger, kratzig, lebenserfahrungsreich ist. Immer noch so großartig wie zu ihren Hochzeiten in den 80er und 90er Jahren, aber anders. Kantiger. Rauer. Eine Stimme mit Profil. Am Samstag war diese in der Harmonie zu hören; in kleinem Rahmen, nur Anne Haigis, ihr Gitarrist Jan Laacks und jede Menge Kerzen. Kein großer Schnickschnack – aber ein ganz großes Konzert.
In der Harmonie sei sie immer besonders aufgeregt, gestand die Blues-Lady zu Beginn des Auftritts – immerhin spielte sie in ihrer Wahlheimat, mit Nachbarn und langjährigen
Lagerfeuerbekanntschaften im Publikum. Doch schon beim ersten Titel, „Out of the rain“, war von Nervosität keine Spur mehr. Über die exzellenten Patterns und Pickings von Saitengenie Laacks erhob
sich das Haigis-Organ, in dem die ungestillte Sehnsucht nach neuen Erfahrungen in jeder Faser vibrierte, zu einem grandiosen Einstand. Ein Niveau, dass sich über das gesamte Konzert erstreckte,
über jeden Frauen-Blues („Can't let go“), über jede Antikriegs-Ballade („A long time ago“), über jeden Mitmach-Pop-Song („Life is wonderful“).
Auch wenn die neue CD „Wanderlust“ im Mittelpunkt stand, kam Anne Haigis um einige Klassiker nicht herum. Natürlich sang sie „Kind der Sterne“, das Wolf Maahn mal für sie geschrieben hatte – und
in Erinnerung an Trude Herr jene beiden Stücke, die sie bereits 1995 auf dem Kölner Roncalliplatz interpretierte: „Papa“ und „Nacht aus Glas“. Gänsehaut-Momente, die sich später bei „Tom
Traubert's Blues“ wiederholen sollten, jener Tom-Waits-Hymne mit dem berühmten „Waltzing Matilda“-Refrain, die Anne Haigis mindestens ebenso eindrucksvoll darbietet wie der große alte Grummler
selbst.
Doch es ist nicht nur die fantastische Stimme von Anne Haigis, die die 14 Stücke zu einem besonderen Erlebnis gemacht hat. Denn Gitarrist Jan Laacks hat mit seinem erstklassigen Gitarrenspiel
mindestens ebenso viel zum Erfolg des Abends beigetragen wie seine Gesangspartnerin. Ein Hammer-Solo jagte das nächste: Ob „Can't let go“, „Chrome plated heart“ oder bei „Something to talk about“
– ohne den jungen Mann mit der Mütze hätten die Songs nur halb so gut geklungen. So jedoch war das Konzert ein Genuss, jeder Song eine neue Note in diesem gut gereiften Musik-Whiskey. Bitte
nachschenken. Und Prost.
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