Immer wieder geht der Blick zurück. In die frühen 60er Jahre, als Liedermacher Hannes Wader zum ersten Mal mit den Chansons von Georges Brassens oder Yves Montand in Berührung kam; in die 50er, als er im Teutoburger Wald einen Zimmermann begleitete und Drachen steigen ließ; und in die Romantik, der Wader sich besonders durch Eichendorff sehr verbunden fühlt. Im ausverkauften Brückenforum, in das die Harmonie Bonn eingeladen hat, schwelgt der 70-Jährige in diesen nostalgischen Erinnerungen – und sieht zugleich den Sensenmann in der Ecke stehen, der ihm erst vor etwa einem Jahr seinen guten Freund Franz Josef Degenhardt nahm, und den er dennoch, wie er im „Lied vom Tod“ beweist, nicht fürchtet.
Vergangenheit und Vergänglichkeit: In diesem Spannungsverhältnis spielt Hannes Wader seine Lieder, unverwechselbar im Stil, und ebenso unveränderlich. Während sein Freund Konstantin Wecker es
genießt, zwischen Rock und Klassik alles machen zu können, bleibt Wader in Folk- und Volksmusik behaftet, eine musikalische Konstante, die er selbst dann beibehält, wenn er „Autumn Leaves“ mit
der von ihm geschaffenen Übersetzung spielt. Überraschungen, Innovationen, Experimente finden sich in diesem Programm nicht – selbst als Wader bei dem humorigen und selbstironischen „Nah dran“,
in dem er mit teils wahren und teils erfunden Geschichten über seine Erlebnisse mit Frauen sinniert, von einem Reggae-Rhythmus spricht, kommt letztendlich eine klassische Liedermacher-Begleitung
mit minimal veränderter Akzentuierung heraus.
Bei all den Erinnerungen, in denen Wader schwelgt, bei den liebevollen und bewundernden Liedern für Degenhardt („Alter Freund“) oder Peter Gingold („Boulevard St. Martin“) mit ihren trotz der
Reimform eher prosaischen Texten, bei all den Zusammenfassungen und Zwischenbilanzen lässt er doch ein Kapitel seiner eigenen Historie nahezu völlig außen vor: Politisch wird Wader, der große
Aktivist der 70er, im Konzert nur ein einziges Mal, mit „Trotz alledem“. Ansonsten nichts, noch nicht einmal zu der Krise in Griechenland, stattdessen eine vertonte Sehnsucht nach einer ruhigen
Insel in der Ägäis als Alterssitz. Die Probleme der Gegenwart werden bewusst ausgeblendet, mahnend oder gar aufrüttelnd will Wader wohl nicht mehr sein. Es ist schon bezeichnend, dass die beiden
anderen kritischen Lieder des Abends (und auch die schönsten) die wadersche Friedensbewegungs-Hymne „Es ist an der Zeit“ von 1980 sowie Konstantin Weckers „Was keiner wagt“ sind, ein mehr als 30
Jahre alter Titel und ein Stück aus fremder Feder.
Die Mehrheit der Lieder bleibt stattdessen romantisch, etwas altmodisch gar, getragen von der warmen Stimme Waders und dem eleganten Gitarrenspiel. Doch abgeschlossen hat der 70-Jährige noch
nicht mit dem Leben: Immer wieder blitzt hier und da ein Funke von Bissigkeit und Witz auf. Dann zeigt sich Wader frisch und verschmitzt, und man merkt, warum ihm die Fans fast 50 Jahre lang die
Treue gehalten haben. So ganz hat die Altersmilde von dem Liedermacher wohl doch noch nicht Besitz ergriffen. Wäre auch schade drum.
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