Eigentlich sind wir alle zu einem Teil Ägypter. Zumindest in ästhetischer Hinsicht. Denn die Kunst, das Götter-Pantheon und die architektonischen Fähigkeiten der Pharaonen sind, mit Ausnahme der Pyramiden, von den Griechen übernommen worden, die wiederum von den Römern kopiert wurden, die letztlich Rheinländer waren. Quod erat demonstrandum. Kunstgeschichte kann so einfach sein. Zumindest wenn Jürgen Becker sie erklärt, der sich dieser Aufgabe nun in der Bonner Oper gestellt hat. Mit Erfolg.
Im Schnelldurchlauf prescht der Vorzeige-Kölner durch mehrere Jahrtausende voller Malerei, Architektur und Bildhauerei, zeigt Michelangelo, Goya und Max Ernst und zieht immer wieder die
Verbindung zur Religion. Ob es um die Form einer Kirche geht, die laut Becker eine Mischung aus Aula und Markthalle darstellt, um die nachträglich verhüllten nackten Heiligen in dem berühmten
Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle oder um das Bilderverbot, das einst nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum galt – Becker lehrt, ohne zu belehren, redet voller Witz und
Leidenschaft. Für manchen Oberstudienrat könnte dies ein Vorbild sein. Und so verzeiht man Becker auch einige Unschärfen, etwa bei der Einbringung des Heiligen Geistes, der schon lange vor dem
Konzil in Nicäa in der christlichen Glaubenslehre verankert war.
Zur Verdeutlichung seiner Thesen setzt der stets schelmisch grinsende Becker auf zahlreiche Dias. Auf der Bühne selbst ist nur ein Bild dauer-präsent: „Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben“ von
Max Ernst, der 1926 damit einen Skandal verursachte. Zumindest dafür ist die Kunst immer gut, wie der Dozent immer wieder beweist und zu Demonstrationszwecken sowohl Angela Merkel als auch Sigmar
Gabriel in Goyas „Nackte Maja“ integriert – ein Alptraum. Aber alles hat seinen Platz in der Kunst: Das Ordinäre, das Unzüchtige, das Hässliche und das Unaussprechliche. Aus diesem Grund singt
Becker ihr Hohelied, zelebriert und ehrt sie, statt sie zu sezieren – und kommt gerade dadurch einer Definition von Kunst näher als viele andere. „Kunst steht für die Erhaltung der Art und die
Erschaffung der Welt“, sagt er. Mehr noch: Ihr Entstehen entspringt gleichermaßen einem Schöpfungs- und einem Zeugungsakt, aus denen eine Botschaft erwächst, die ohne Worte auskommt. Meistens
jedenfalls. Beim Urinal von Marcel Duchamp, das dieser 1917, um 90 Grad gekippt, als Kunst präsentierte, beginnt auch Becker zu zweifeln. Aber letztlich ist alles eine Frage der
Perspektive.
Beckers Tour de Force durch die Kulturgeschichte ist jedoch mehr als eine Lehrstunde – es ist zugleich ein Aufruf zu einem Diskurs über Kunst und zur Unterstützung der Künstler, den der
Kabarettist, Joseph Beuys zitierend, in jedem Menschen sieht. „Es kommt nur darauf an, die Talente zu entdecken“, sagt er und macht sich besonders für Hauptschüler stark, die oft an
bürokratischen Hürden oder schlechten Mathe-Zensuren scheitern. Für Becker ein Unding – er fordert eine individuelle Förderung. Was dem begeisterten Publikum einmal mehr beweist, dass dieser
zappelige Mann auf der Bühne tatsächlich im Herzen ein Lehrer ist. Und zwar einer von den besten.
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