In China sind die Geschehnisse vom 4. Juni 1989, als das Militär gewaltsam Studentenproteste rund um den Platz des Himmlischen Friedens unterdrückte, ein Tabuthema. Zahllose Opfer waren zu beklagen, hunderte, vielleicht sogar tausende, die bis heute nicht öffentlich betrauert werden dürfen. Andere wurden verhaftet, wegen Brandstiftung und bewaffneter Rebellion verurteilt, geschlagen, gefoltert, gebrochen. Für all diese Menschen erhebt der chinesische Schriftsteller und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Liao Yiwu nun in seinem neuen Buch „Die Kugel und das Opium“ seine Stimme. Auch in Bonn: Im Forum der Kunst- und Ausstellungshalle las er zusammen mit dem Schauspieler Heikko Deutschmann (nach 30 Minuten ermüdender DAAD-Lobpreisung und langer, wenn auch informativer Einführung) Passagen aus diesem teilweise sehr nüchternen und dadurch umso erschreckender wirkenden Zeitzeugenbericht.
Doch Liao ist nicht nur Chronist, sondern auch aktiv Beteiligter. Schon vor den Studentenunruhen stand er auf der schwarzen Liste; nach der Veröffentlichung seines Gedichts „Massaker“, in dem er
sich den Ereignissen am und um den Tian'anmen-Platz widmete, kam er selbst ins Gefängnis. Von den Wärtern misshandelt und gequält, leistet er literarisch Widerstand. Er spricht mit
Leidensgenossen, führt Interviews mit den so genannten Rowdys, die wie er aus teils hanebüchenen Gründen eingekerkert wurden und die nach ihrer Entlassung – sofern sie überhaupt so viel Glück
hatten – als Unpersonen galten, als Pariahs. So wie auch Liao: Von der Ehefrau verlassen, Von den Freunden gemieden, ohne eine Chance auf regelmäßige Arbeit oder irgendeine Perspektive, weiterhin
unter der strengen Bewachung durch das Regime. All dies erzählt Liao lakonisch, aber auch ohne Tabus. Keine leichte Kost. Doch Heikko Deutschmann, der einen Großteil der Texte in der deutschen
Übersetzung liest, findet genau den richtigen Tonfall: Ruhig, einfühlsam, leicht melancholisch. Liao selbst sitzt in diesen Momenten da und schweigt. Setzt die Tradition des Erinnerns fort, wie
er selbst sagt. Und schüttet sein Herz dann in der universellen Sprache der Musik aus, nutzt Klangschalen und Flöten, um seine Emotionen zu übermitteln.
„Die Kugel und das Opium“ ist ein Requiem für die von der chinesischen Führung begrabene Erinnerung an das Tian'anmen-Massaker, an das brutale Vorgehen des Regimes – und an Menschen, die nur
einmal ihrem Wunsch nach Freiheit Ausdruck verleihen wollten oder einfach neugierig waren und die in China unter einem Mantel des Schweigens verborgen sind. „Opium betäubt und verwischt das
Gedächtnis an das Massaker“, steht am Anfang dieses so beeindruckenden wie bedrückenden Buchs. Liao Yiwu aber fordert den Entzug. Und gedenkt der Vergessenen.
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