Was ist im Leben wirklich wichtig? Was ist etwas wert? Was hat Bedeutung? Nichts, sagt Pierre Anthon – und verzieht sich in einen Pflaumenbaum. Von dort schleudert die zentrale Figur des nach dem gleichnamigen Janne-Teller-Roman geschriebenen Stückes „Nichts“, das nun im Jungen Theater Bonn Premiere feierte, nihilistische Phrasen auf seine Mitschüler, will sie, beinahe schon mit mephistophelischer Argumentationskraft, vom Leben abwenden und verspottet ihren Eifer, doch noch etwas zu werden. „Dann müssen wir eben beweisen, dass es Dinge gibt, die etwas bedeuten“, beschließen die Jugendlichen – doch aus der anfänglichen Sammelei wird bald eine gefährliche Spirale aus Rache, Gewalt und Blut, ein zerstörerisches Opfer-Ritual, das schließlich in einer Katastrophe endet.
Es ist ein brutaler Stoff, dem sich das Junge Theater unter der Regie von Stefan Herrmann angenommen hat – und ein lehrreicher. „Nichts“ greift essentielle Themen wie Moral und Gerechtigkeit auf,
zeigt ähnlich wie „Die Welle“ die Gefahren des Gruppenzwangs und fragt nach Grenzen, die die Schüler im Stück kontinuierlich überschreiten: Die immer drastischeren Forderungen nach
„bedeutungsvollen Dingen“ nehmen überhand, ein Kruzifix, ein Gebetsteppich, ein Kindersarg, die Jungfräulichkeit eines Mädchens und das Leben eines Hundes werden teils gewaltsam auf den „Berg der
Bedeutung“ gelegt, ohne dass einer der Schüler das grausame Spiel beendet; erst durch einen abgetrennten Finger wird die Öffentlichkeit alarmiert. Dabei setzt das Ensemble bei den letzten,
blutigen Opferungen bewusst auf die Macht der Vorstellung – gezeigt werden sie nicht, auch nicht erzählerisch ausgeführt. Was sich jedoch im eigenen Kopf abspielt, ist schlimm genug, so dass
verständlich ist, warum das Stück erst für Kinder ab 13 Jahren empfohlen wird.
Die jedoch dürften dem „Nichts“ durchaus etwas abgewinnen können. Denn das fast ausschließlich aus 14- bis 17-jährigen Jugendlichen der JTB-Werkstatt bestehende Ensemble bringt die dramatischen
Geschehnisse um die Suche nach Bedeutung mit bemerkenswerter Emotionalität und Professionalität auf die Bühne. Bei der Premiere am vergangenen Freitag überzeugten vor allem Marian Lehnberg als
wortgewandter Pierre Anthon und Paul Wehner als Gitarre spielender Jan-Johan; doch auch die anderen Jungschauspieler zeigten eine exzellente Leistung, die lediglich durch die unglückliche Akustik
des Theatersaales an einigen Stellen litt. Seltsamerweise verzichtete man auf Headsets, so dass gerade die leisen Stellen nicht immer zu verstehen waren. Dafür schmetterte zweimal knallharter
Metal in ohrenbetäubender Lautstärke aus den Boxen, so als ob der Tontechniker bewusst für einen kollektiven Hörsturz sorgen wollte. Schade.
Ansonsten erzielte „Nichts“ bei der Premiere die gewünschte Wirkung: Nach 75 Minuten blieb ein geschocktes und zugleich begeistertes Publikum zurück, das aufgerüttelt über die Taten der
Jugendlichen debattierte. Übrigens eine Aufarbeitung, die den Figuren auf der Bühne verwehrt bleibt: Nachdem ihr „Berg der Bedeutung“ entdeckt und zur Kunst erklärt worden ist, blättern sie in
internationalen Zeitungen, erregt vom Medienrummel, den die „dämonischen Taten“ ausgelöst haben. „Die Dämonen, das waren wir“, sagen sie. Und lachen. Bedeutungsvoll. Aber ohne Reue.
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