Rainald Grebe darf alles. Alle drei Strophen des Deutschlandliedes singen, sich ein Kondom über den Kopf ziehen, Orgasmen vorspielen oder Vogelstimmen – wenn der frischgebackene Träger des Deutschen Kabarettpreises auf der Bühne loslegt, regiert das Unerwartete. Das Absurde. Der Geist von Dada und Gaga. So auch in der Oper Bonn, in der Grebe auf Einladung des Pantheons am Freitagabend ein umjubeltes Dreistundenkonzert gab. Alleine diesmal, ohne das Orchester der Versöhnung oder andere Unterstützer.
Nur Licht- und Tontechniker Franz Schumacher ist ihm treu geblieben, ein einsamer Sidekick und williges Opfer, dessen einzige Chance auf Gegenwehr sich in der Kontrolle der Nebelmaschine
manifestiert und der ansonsten dafür verantwortlich ist, die zahlreichen Reminiszenzen seines Brötchengebers aufzunehmen und in das umfangreiche Archiv Grebes zu übertragen. Digital hält eben
besser – und verbraucht nicht so viel Platz.
Die Hälfte seines Lebens hat Grebe inzwischen schon auf USB-Sticks. Fotos, Songs, Gästebuch – alles da. Darunter viele Kindheitserinnerungen, in denen der gebürtige Frechener nun teils leicht
melancholisch und teils satirisch schwelgt, aufgerufen durch einen Schlag auf einen auf einem Schlagzeug montierten Plastikkopf von Chucky der Mörderpuppe. Klar. Anders wäre ja normal. Und das
ist Rainald Grebe auf keinen Fall. Das machen schon die ersten Minuten seines Programms klar: Nach einigen Lebensbeichten des mit rosa Häschenohren geschmückten Gagaisten tanzt dieser im
ebenfalls rosafarbenen Tütü und mit einem bunten Band ausgerüstet expressiv seinen Namen, nur um dann über gärende Urintropfen zu philosophieren. Absurd? Ja – aber erst der Anfang.
Einen beträchtlichen Teil des Abends räumt Rainald Grebe seiner Jugend ein: Seiner Weltbild-Prägung durch den „Kopfjäger-Evangelisten“ Dr. John Thiessen, den aufgezwungenen Clownskostümen (das
Indianer-Outfit bekam immer seine Schwester – das erklärt viel), seiner Samensammlung und seinen ersten Flötentönen. Erinnerungen an das Krümelreich. Aufgerufen, abgespeichert, abgehakt. Und
oftmals geschreddert. „Ich stülpe mich hier aus“, sagt Grebe bei seiner intimen Vergangenheitsbewältigung, die er durch musikalische Intermezzi aufpeppt. Denn natürlich kommt der 41-Jährige, der
sich gerne mal bei Billy Joel bedient, nicht ohne seine Lieder mit den paradoxen tiefsinnig-doppeldeutigen Unsinnstexten aus: „Brandenburg“, „Das Frechenlied“, „Oben“, all die Höhepunkte seines
Œuvres, die von den Fans frenetisch gefeiert werden.
„Die Grebes sind keine Künstler, sondern Beamte“, soll Rainalds Vater ihm einmal gesagt haben. Wenn das stimmt, hat er sich geirrt. Allerdings setzt der Sohn weder auf gemalte Feldhasen noch auf
an die Wand genagelte leere Teller – die Inspiration kommt von anderer Seite. Mit Sicherheit von den nicht näher genannten Nonsens-Autoren, etwa Lewis Carroll oder Christian Morgenstern. Und ganz
explizit von den Dadaisten Kurt Schwitters und Hugo Ball, jenen Revoluzzern gegen die Kunst selbst. Absurd, verrückt, grotesk. Der Sinn kann draußen warten. Sieht auch Grebe so, der zum Ende
seines Programms immer tiefer in den Dadaismus vordringt. „Tuffm heißt das!“, ruft er schließlich aus. Soll wahrscheinlich unter anderem bedeuten: Jetzt ist Schluss. Was das unersättliche
Publikum nicht begreift, das nach drei Stunden bester Unterhaltung und vier bereitwillig gegebenen Zugaben noch nach einer fünften giert. Noch ein paar Stunden Unsinn und Satire? Einzig Rainald
Grebe dürfte das. Wenn er denn wollte.
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