Ein Ring hängt über dem Boden des Pantheon, fast schon auf Tuchfühlung zum Publikum. In diesem die bezaubernde Camille Tremblay, hin- und herschwingend, direkt über begeisterten Gesichtern schwebend. Kurz danach wiederholt der durchtrainierte Louis-Marc Bruneau-Dumoulin dies an einem hängenden Tuch, verknotet sich, klettert hoch, rollt wieder runter. Eine beeindruckende Show – und ein Bruch mit dem üblichen Programm des Bonner Kleinkunsttempels, dessen Künstler sonst bezüglich Bühnenplatz und Requisite nur sehr geringe Ansprüche stellen.
Das Varietéspektakel von Stephan Masur schöpft im inzwischen vierten in Bonn gezeigten Programm dagegen alle Möglichkeiten des Hauses aus und bringt ein Gefühl von Circus in das Kellergewölbe.
Mit Erfolg: Das Pantheon ist bei der Premiere ausverkauft, das Publikum dem Charme der Artisten verfallen.
Akrobatik, Jonglage, Tanz und Clownerie: Bei der Show ist Abwechslung das oberste Gebot. Und das alles ohne Hektik – die einzelnen Nummern schöpfen Kraft aus der Stille, setzen mehr auf Ausdruck
denn auf Geschwindigkeit und sind gerade deswegen so sehenswert. Wunderschön dabei vor allem die anmutige Duo-Handstandnummer von Tremblay und Bruneau-Dumoulin, aber auch die verspielte
Keulenjonglage der diebischen Elfe Almut Sarrazin. Präzise, ästhetisch, ruhig. Lediglich Lukas Aue gibt Gas, muss auch Gas geben: Er ist als Slapsticker für den brachialen Witz des Programms
verantwortlich, hat unter anderem mit einer Fliege und einem Stuhl zu kämpfen. Worte sind dabei unnötig, wie überhaupt im Programm. Die Körpersprache teilt genug mit. Stephan Masur selbst beweist
dies in seiner Rolle als Comte Vivaldi in Perfektion: Ein Blick, eine kurze Geste, und schon kommt jemand aus dem Publikum, um einen Korb, eine Glocke oder ein Lätzchen entgegenzunehmen – verbale
Anweisungen erfolgen nur in Notfällen.
Neben der Ruhe ist die Sinnlichkeit ein weiteres treibendes Element der Show. Nicht nur die in ein knappes rotes Kleid gewandete Lisa Chudalla und die Hot Pants tragende Camille Tremblay strahlen
diese aus, auch die Männer zeigen gerne ihre gestählten Körper. In einer Burlesque-Nummer legt Ringjongleur David Severins gar einen Striptease hin. Ein perfektes Sinnbild der Lust, eine der
sieben Todsünden. Die sollen in aufgeweichter Form einen roten Faden durch „Le Voyage“ ziehen – ein Ansatz, der leider scheitert. Denn die Versuchungen sind nur dann erkennbar, wenn man gezielt
danach sucht, und selbst dann fällt eine Zuordnung schwer, zumal der Wanderer (der temporeiche Lukas Aue – ausgerechnet ihm ist die Trägheit zugeschrieben), der ihnen eigentlich widerstehen soll,
nur bedingt vis a vis auf die Verkörperungen trifft. Zugegeben, einerseits mag diese Kritik jetzt überzogen sein, da das Varietéspektakel auch hervorragend ohne eine klare Geschichte
funktioniert. Andererseits hat vor allem Stephan Masur im Vorfeld der Premiere Wert darauf gelegt, dass die Show kein Nummernvarieté sei, man einen roten Faden habe. Der aber letztlich irgendwo
im roten Pantheon-Vorhang verschwindet. Aber gut: „Le Voyage“ ist auch ohne erkennbaren roten Faden das versprochene Spektakel. Dafür sorgen hervorragende, charmante Artisten mit erstklassigen
Nummern für die ganze Familie.
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