Der Kapitalismus ist tot – und keiner will's gewesen sein. Wäre ja gar nicht so schlimm, wenn dadurch nicht die halbe Welt in den Abgrund gerissen würde. Im Schnellzug auf das Ende zu, und alles was geschieht, ist ein Austausch des Lokführers. So geht das doch nicht weiter, sagt Volker Pispers, der vor Wut kocht. In der Beethovenhalle geißelt der Kabarettist mit ungewohnter Schärfe die Bänker und Politiker, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler, die Waffenproduzenten – und das Volk, das sich nicht gegen die Missstände wehrt.
„Ich kenne Sie doch. Sie lachen jetzt hier, nicken, gehen dann nach Hause, schauen Nachrichten und schon ist Ihnen wieder alles egal.“ Dabei könnte alles so einfach sein. Sagt Pispers, der aus
jedem europäischen Land eine Million Arbeitslose in die Schweiz schicken will, um dort nach Schwarzgeld zu suchen. Von der Regierung und von den Reichen. Denn der entnervte Kabarettist kann
rechnen und Statistiken lesen. „Wenn die Vermögenden in Deutschland über zehn Jahre jedes Jahr fünf Prozent ihres Vermögens abgeben würden, wären die Staatsschulden bezahlt.“ Wie gesagt: Ganz
einfach.
Mathematik ist das Steckenpferd des Ex-Englischlehrers. Wild mit Zahlen um sich werfend zeichnet er ein bedrückendes Bild vom Zustand Europas. Riesterrente, Arbeitslosenzahlen, Ärztegehälter,
geplante Steuersenkungen – es ist alles nicht so, wie es scheint, und meistens schlechter, rechnet Pispers vor. Im Zentrum der Krise hockt der mit Schulden und Zinsen gemästete Kapitalismus,
aufgebläht und an sich selbst erstickt. Beispiel USA: Für den so brav und lieb wirkenden Mitt-50er ein Drittweltland mit einer mächtigen Armee, zwei Elite-Unis, mehr Schulden als jemals
zurückgezahlt werden könnten, und einer entsolidarisierten Gesellschaft. „Wir müssen den Zug anhalten, bevor wir auch so enden“, ruft er. Aber die Deutschen hätten zu viel Schiss. Vor allem vor
den Alternativen. Kampfwort Sozialismus. „In der DDR hatten die längst nicht alles (und mit Stasi und Mauer auch einiges zu viel), aber das was die hatten, war wenigstens bezahlt“, sagt Pispers,
der einen demokratischen Sozialismus im Sinne des Godesberger Programms der SPD von 1959 vorschlägt. „Vielleicht ist das auch nicht der richtige Weg – aber man müsste zumindest öffentlich darüber
diskutieren dürfen.“
Doch nicht nur im System selbst findet Pispers Fehler, auch in jenen, die es kontrollieren. Und so attackiert er Rösler, Schäuble, Seehofer, Roth, die „Arbeiterverräter“ aus der SPD – und
natürlich Merkel. Immer wieder Merkel, zu der Pispers ein ähnliches Verhältnis hat wie sein Kollege Urban Priol. Die jeden um sie herum kontinuierlich verarsche und dabei selbst ohne
Überzeugungen sei. Die alles auf die lange Bank schiebe, Unsummen verschleudere und grundsätzlich an allem schuld sei. Na ja, an fast allem: Mindestens mal an den Problemen in Griechenland, dem
sie zusammen mit einem Darlehen gleich noch zwei U-Boote angeboten hat, und an der unbeschnittenen Macht der „Bankenschmarotzer“ – den Rest, etwa die Debatten um Migranten und Islamisten,
lastet Pispers den großen Medienkonzernen an, die Stacheldraht durch die Köpfe der Menschen gezogen haben, das Volk systematisch verblöden und Pathos vor Inhalt setzen. Pathos, der emotionale
Appell. Auch bei Kabarettisten sehr beliebt. Schade, dass es dazu keine Statistik gibt.
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