Kurze Stücke gibt es bei Jacob Karlzon nicht. Ebenso wenig wie eintönige. Im Schnitt 15 Minuten nimmt sich der schwedische Jazzpianist in der Harmonie Zeit, um zusammen mit seinem Bassisten Hans Andersson und dem genialen Drummer Robert Mehmet Sinan Ikiz eine Idee durchzuspielen, sie zu erforschen und zu variieren. Es sind musikalische Geschichten, historische Abrisse ebenso wie sehr persönliche Erlebnisse, in Töne gegossen, deren volle Bedeutung wahrscheinlich nur den Musikern bewusst ist, während das staunende Publikum aus den dargebotenen Collagen und den Ansagen Karlzons meist nur Ansätze dessen destillieren kann, was den Komponisten beim Schreiben des Stückes umtrieb.
So geht es etwa um die Vorstellungen und Träume, die die Bewohner Smålands im 19. Jahrhundert von Amerika hatten („Fool's Gold“), umgesetzt mit einem swingenden Bluesmotiv, das immer wieder Platz
macht für Ausflüge in leichtere, verträumtere Gefilde – oder in gewalttätigere.
Dabei pflegt Jacob Karlzon einen kontinuierlichen Crossover. Immer wieder finden sich klassische Elemente, Anklänge an Ravel, Chopin, Satie oder Debussy. Und modernere: Das kraftvolle „Dirty“ ist
eine Abrechnung mit Deep Purple und Metallica; Musik, die die ältere Schwester während seiner Kindheit hörte und die er daher auch zu mögen hatte. Offensichtlich hat die Beeinflussung gefruchtet
– „Dirty“ ist trotz der fehlenden Gitarren ein Genuss für Metal- und Jazzfans gleichermaßen, nicht zuletzt dank Ikiz, der sein Schlagzeug zu Höchstleistungen antreibt, nur um kurz darauf wieder
das zu tun, was nur erstklassige Drummer vermögen: leise zu spielen und dennoch die Spannung zu halten. So auch bei dem einzigen Cover-Song des Abends, „The Riddle“ von Nik Kershaw, der als
Grundlage für einige wunderschöne Improvisationen dient.
Bei all den musikalischen Abschweifungen verliert sich kein Trio-Mitglied in unnötigen Details. So komplex die Muster auch sind, die Karlzon und seine Kollegen weben, finden sie doch immer den
Weg zum Hauptstrang zurück. Jegliche Spielerei ist nicht Selbstzweck, sondern Teil des Ganzen – auch die dezent eingesetzten Effekte, die Karlzon über ein neben dem Flügel stehendes Laptop
beisteuert. „Technorganic“ nennt er das, und tatsächlich wirken die Spährenklänge und anderen Computer-Samples nicht wie Fremdkörper, überdecken oder stören nie das brillante Zusammenspiel von
Drums, Klavier und Bass. Vielmehr sind es leichte Akzente, die neue Klangwelten erschließen – einer der Gründe, weswegen Jacob Karlzon gerne als Erbe des legendären Esbjörn Svensson gehandelt
wird.
Pünktlich um 22.30 Uhr beendet das Trio ihr Konzert. Länger dürften sie nicht, auch wenn sie gerne wollten, erklärt Karlzon. Neun Stücke haben sie in dieser Zeit gespielt, das letzte
ausnahmsweise in einer Kurzversion. Neun Stücke, die das Publikum immer wieder neu gefordert und zugleich dauerhaft bezaubert haben. Und begeistert. Musik, wie sie sein sollte.
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