Was hat sie nicht alles erlebt, die Echse. Hat beim Urknall die Ohren verloren, dann die Zellteilung erfunden, eine heißblütige Affäre mit Kleopatra geführt, mit Aristoteles das erste Theater gegründet und als Babysitter für Jesus gearbeitet. Eine Biografie, die ihresgleichen sucht. Am Samstag hat die alte Schuppenhaut nun im ausverkauften Haus der Springmaus aus ihrem Leben erzählt, unterstützt von ihrer kassenärztlich gezahlten Bein- und Stimm-Prothese Michael Hatzius (der dafür in diesem Jahr bereits mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet wurde) und mehreren Nachwuchs-Puppen, die alle darauf hoffen, irgendwann einmal den großen Durchbruch zu schaffen und selbst Echse sein zu können.
Doch so einfach ist es nicht, den Zigarren rauchenden, an manchen Altpolitiker erinnernden Frauenversteher vom Thron zu stoßen. Wahrscheinlich gar unmöglich. Zu populär ist die Echse, zu sehr
begeistert sie die Massen, zieht sie mit exzellentem Duktus in seinen Bann und schafft es im Haus der Springmaus ohne weiteres, den gesamten Saal in Erwartung der nächsten Pointe vollkommen
verstummen zu lassen, an den Lippen der Echse hängend, den sich im Hintergrund haltenden und doch dauerpräsenten Hatzius ausblendend. Es ist die Kunst der ganz großen Erzähler und Vorleser, die
hier zum Vorschein kommt, Rhetorik vom feinsten. Ob die Echse nun von ihrer Zeit als Fußball spielender und Membranen ziehender Einzeller berichtet oder von der angeblich jungfräulichen
Empfängnis Mariens, wegen der Josef ständig mit Myrrhe zugedröhnt im Stall lag und auf seinen Dealer, den Heiligen König, wartete – die Menge hängt an den schuppigen Lippen. Eigentlich gute
Voraussetzungen für das Papstamt. Doch das lehnt die Echse ab. Zu wenige Veränderungen im Berufsbild.
So gerne die Echse auch in Aufmerksamkeit badet, gibt sie doch auch anderen eine Chance: Dem etwas langsamen, einfach gestrickten Huhn etwa, das sich auch von Hatzius helfen lässt und dem mit
seiner Einstellung („Ich bin Huhn. Und Huhn ist OK“) die Herzen der Zuschauer zufliegen. Andere Figuren wie etwa zwei Schafe, eine Kobra und eine kaltblütige vegetarische „Flescherstochter“,
entstammen eher dem Kasperletheater, sind dementsprechend putzig, aber zugleich kindisch – den Witz eines René-Marik-Maulwurfs können sie auf jeden Fall nicht entwickeln. Und so bleibt es an der
Echse hängen, die Zuschauerwünsche vollends zu befriedigen. Die Grundlagen des Puppenspiels zu zeigen, die Hatzius und die Echse zusammen perfektioniert haben, oder dank einer übersinnlichen
Begabung einen Blick in die Zukunft zu wagen. Auch wenn das nur bei realistischen Fragen aus dem Publikum funktioniert. Weder zur Fertigstellung des Berliner Flughafens noch zum Gewinn der
Champions League durch den 1. FC Köln konnte und wollte sich Old Scaly äußern.
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