Anstehen war gestern. Das sollen die anderen machen, aber nicht Lars Reichow. Der Kabarettist besitzt, seit er an einem Deeskalationsdesk der Kfz-Zulassungsstelle fast eine Eskalation herbeigeführt hätte, eine Q-Card, ein Zeichen seiner Überlegenheit und Dominanz. Ihm muss jeder weichen, jeder Kunde den Vortritt lassen – er darf sich gar bei denen bedienen, wie er im Bonner Pantheon offenbart, darf seinen Mitmenschen die Brötchen und Croissants aus der Tasche ziehen. Ein behördlich autorisierter Egomane also. Oder anders ausgedrückt: Ein Deutscher.
Denn zumindest in Reichows Best-of-Programm kommt unsere Nation nicht sonderlich gut weg. „Wir sind die Jammertaler ganz oben auf dem Berg“, singt er – Menschen mit Luxusproblemen, die immer mehr
wollen und im Ausland deswegen gehasst und verachtet werden. Die rüstig-renitenten Reiseweltmeister vorzugsweise gehobeneren Alters, deren Erinnerungen an die besuchten Länder aufs
Frühstücksbuffet reduziert sind und die klare Strukturen fordern: „Die Saftpresse gehört vorne links!“ Klischees, mit denen Reichow beim Publikum punkten kann, weil sie ja schließlich nicht
völlig aus der Luft gegriffen sind, zugleich aber von den echten Problemen und Krisen ablenken. Für die ist an diesem Abend kein Platz.
Auch der Rest Europas kriegt bei Reichow sein Fett weg. Grönland und Finnland wegen ihrer Sprachen, Frankreich wegen dem Louis-de-Funès-Verschnitt Nicolas Sarkozy (woran ersichtlich ist, dass
einzelne Programmteile nicht mehr ganz aktuell sind), Großbritannien – das Reichow auf England reduziert – wegen der teils saufenden, teils notgeilen und teils großohrigen Royals. Jede Menge
Stammtischkritik und Comedy-Verschnitt, allerdings meist geschickt getarnt mit hintersinnigen Sprüchen, feinen Doppeldeutigkeiten und eleganten Formulierungen. Und Songs, die das Zentrum des
Reichowschen Programms bilden. Am Klavier blüht der Tastenvirtuose auf, singt mit Sandpapierstimme ein wunderschönes Liebeslied an seine Frau, fragt Gott nach dem Weg in den Himmel und sich
selbst nach dem Wesen des Menschen. Fantastische Kompositionen, von denen man gerne mehr hören würde.
Inhaltlich ist Reichow dann am stärksten, wenn er von den Geschehnissen in der eigenen Familie erzählt. Vom Deko-Wahn seiner Frau, den der 48-Jährige mit einem neutralen Geräusch kommentiert
(„Boap“), dem stoischen Sitzsack-Sohn im olfaktorisch an eine Mischung aus Vogel- und Pumakäfig erinnernden Zimmer oder von den Gefahren der Routine, deren Einzug er in Form einer Fabel
beschreibt. Es sind diese kleinen menschlichen Schwächen, mit deren Karikaturierung Reichow wirklich brillieren kann, auch wenn das Pantheon-Publikum ihn für all seine Nummern mit großzügigem
Applaus feiert.
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