Er ist ein leidenschaftlicher Hasser: von Minderheiten, Kölnern, extremistischen Mullahs, Nazis und den Machern des RTL-Programms. Serdar Somuncu verteufelt sie alle, beleidigt übergreifend – und wird dafür vom Publikum im Beueler Brückenforum als Prophet gefeiert. Als Hohepriester des Hassismus und Terminator jeglicher verbaler Zurückhaltung. Alles kann, alles darf gesagt werden. Und wenn sich jemand verletzt fühlt: Pech. Es muss ja keiner bleiben und zuhören. Tun aber dann doch alle und jubeln dem sich offenbarenden Hassias auf der Bühne zu.
Es ist bezeichnend für die Gesellschaft, dass selbst die massivsten Provokationen Serdar Somuncus, mit denen er eigentlich auf substanzielle Missstände hinweisen will, inzwischen belächelt und
herbeigesehnt werden. Sorgten seine Lesungen aus „Mein Kampf“ noch für einen Eklat, der zugleich eine dringend notwendige intensivere Beschäftigung mit dieser Hetzschrift zur Folge hatte, bleibt
sein aktuelles Programm wahrscheinlich weitgehend folgenlos. Zwar lässt der 44-Jährige fast kein Reizthema aus, haut auf Schwule ein, denkt mit Blick auf die Lebensmittelskandale der vergangenen
Jahre an Kannibalismus, stimmt das Horst-Wessel-Lied an, weil er sich im Gegensatz zu vielen seiner Kritiker immerhin mit dem Text auseinandergesetzt hat, schwenkt regelmäßig ins Obszöne ab,
spricht von Blowjobs und Masturbation– und erhält dennoch für jeden Ausraster Applaus. Die Provokation wird so ad absurdum geführt. „Empört euch!“, hat der kürzlich verstorbene ehemalige
französische Résistance-Kämpfer und KZ-Häftling Stéphane Hessel 2010 in einem Essay gefordert, ein Aufruf zur Meinungsbildung und -äußerung, den Somuncu mit seiner extremen Schauspielerei zu
unterstützen scheint. Doch statt Empörung kommt Gelächter.
Dabei übt Somuncu bei all seinen Hassitüden essentielle Kritik, die zu erkennen die Aufgabe des Publikums ist. Er ruft explizit dazu auf, zu differenzieren zwischen gespielter Intoleranz und
echter Haltung, fordert von seine Anhängern gewissermaßen, die zweistündige Veranstaltung nicht nur als Unterhaltungsshow zu betrachten, sondern als eine Art Messe, in der man zumindest innerlich
Position beziehen und sich mit seinen eigenen Werten auseinandersetzen muss. Schluss mit der ganzen Scheinheiligkeit: „Wir ärgern uns über Sexismus, schalten um und sehen den Bachelor“, wettert
er. Doch solange man selbst nicht betroffen sei, würde vieles einfach ignoriert. „Bei mir hat sich noch kein Jude darüber beschwert, dass ich Zigeuner-Witze mache. Und ich mache ziemlich heftige
Zigeuner-Witze“, sagt Somuncu, der sich damit allerdings im Brückenforum sehr zurückhält. Lieber geht er gegen den zum Islam konvertierten Pierre Vogel vor, der die Unterdrückung der Frau
propagiert, oder gegen die Bigotterie in der katholischen Kirche. Oder gegen Köln – was ihm prompt ein paar Buh-Rufe einbringt und seine Betroffenheits-These untermauert. Übrigens die einzigen
negativen Reaktionen des Publikums. Am Ende gab es gar Standing Ovations. Bleibt zu hoffen, dass es wenigstens zu dem einen oder anderen inneren Diskurs gekommen ist. Dann hätten die
Provokationen zumindest etwas bewirkt.
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