Bonn scheint es diesmal nicht gut mit Bosse zu meinen. Die Vorband muss wegen Krankheit absagen, auch Keyboarderin Valeska Steiner liegt nachmittags flach. Und dann noch dieser Stress mit der Klage eines 55-jährigen Bauingenieurs, der jetzt erst nach Beuel-Süd ziehen wird, aber gleich schon einmal gegen den KunstRasen vor Gericht gezogen ist und durchsetzen konnte, dass die Lautstärke sich nach seiner „subjektiven Wahrnehmung“ richten muss, wie der zuständige Richter festlegt hat. Ergebnis: Die Bässe wurden um 30 Prozent heruntergefahren, auch an die Höhen wurden kräftig zusammengestrichen. „Eigentlich genau das, wofür man einen Tontechniker braucht“, sagt Bosse, der es sich trotz dieser ganzen Hürden nicht nehmen lassen wollte, im KunstPalast aufzutreten.
„Wir hatten die Wahl zu spielen oder zu fahren. Natürlich spielen wir. Und wir wollen jetzt hier richtig abrocken“, ruft der charismatische Sänger – und legt los. Wie ein Derwisch wirbelt der
33-Jährige über die Bühne, springt und tanzt sich in Ekstase, das Publikum mitreißend. Spätestens als er bei „3 Millionen“ kurzerhand ein Bad in der Menge nimmt, gibt es kein Halten mehr, spätere
Geschenke (vor allem ein Handtuch mit Bosse-Schweiß für eine eifrige Sammlerin) sind da nur das Sahnehäubchen. So soll es sein: Wenn die Band leiser sein muss, sind eben die Fans gefordert.
Klappt eigentlich ganz gut. Lautstark schallt Bosse aus hunderten Kehlen der „Wartesaal“-Text entgegen, später dann die von ihm eingeforderten „E-Ohs“ und „Yipi yipi yeahs“. Ein Ansingen gegen
Spaßblockaden und Klagemauern. Die Stimmung ist super, selbst Bosse, der zu Anfang doch etwas skeptisch war, genießt zunehmend das Konzert. „Ich habe immer Bock, aber heute habe ich so richtig
Bock“, sagt er kurz nach „Schönste Zeit“ – für viele ist der Titel schon Programm, für die anderen wird er es jetzt werden. Zumal nicht nur Bosse und seine manchmal vom Chef zu zügelnde Band,
sondern vor allem der Tontechniker, nach frustrierenden Nachmittagsstunden, letztlich mit den ihm genehmigten Mitteln eine exzellente Leistung abliefert. Nur bei einigen wenigen Songs, etwa den
neuen Tracks „Istanbul“ und „Vive la Danse“, fallen die fehlenden Bässe und eine nicht ganz optimale Differenzierung wirklich auf, was das feiernde Publikum aber souverän ignoriert.
Natürlich lässt es sich Bosse nicht nehmen, immer wieder Anekdoten aus seinem Leben zu erzählen. Zum einen weil das die vorgegebene Obergrenze von 93 Dezibel definitiv nicht übersteigt, zum
anderen aber auch, weil diese Geschichten gut ankommen. Etwa die von seinem Traum eines Duetts mit Heather Nova, den zunächst über Jahre hinweg ihr Manager, letztlich aber Bosse selbst genüsslich
platzen lässt. Typisch Bosse. Dazu Hintergründe zu einigen neuen Liedern, voll mit Erinnerungen, Hoffnungen, Kuriositäten aus einem Musikerleben. Ob die Bonner Beschränkungen auch bald dazu
gehören? Immerhin: Bosse hat ihre Wirkung letztlich erfolgreich weggetanzt – und konnte sich einen Tag später beim OpenFlair-Festival in Eschwege wieder richtig austoben. Ob das aber den anderen
noch auftretenden Gruppen ebenfalls gelingt, wird sich zeigen. Zumindest bei der HipHop- und Elektropunk-Formation Deichkind und dem Soul-Rap-Duo Xavas, die beide auf der großen Open-Air-Bühne
spielen sollen, könnte eine Reduktion der für den Sound dieser Bands essentiellen Bässe schwierig werden.
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