Die Trompeten klirren, das Schlagzeug treibt, dazu schwungvolle Gitarren und die unvergleichliche Stimme von Joey Burns: Die Desert-Rock-Band Calexico hat im KunstPalast eindrucksvoll ihre Wüstenmagie erweckt und eines der besten Konzerte der aktuellen KunstRasen-Saison abgeliefert. Mariachi-Klänge treffen in ihrer Musik auf Folk, Country und Jazz, ein mächtiger fast schon orchestraler Sound lässt an straubtrockene Ebenen und epische Weiten denken, an Fiestas und Siestas. Wenn diese Bilder doch nur der Wahrheit entsprechen würden. Denn inhaltlich malt Calexico meist ein anderes Bild, ein kritischeres, singt von Grenzen, Zäunen, Flüchtlingen, illegalen Einwanderern.
„Across the Wire“ ist so ein Stück, „Crystal Frontier“ auch. „He can get you anything you want, might cost you a life, might cost you the whole price of freedom here“, singt Joey in letzterem,
von einem Schleuser erzählend, einem von verschiedenen Charakteren, die er kurz, aber prägnant in den Fokus stellt, sich dabei einer poetischen Sprache bedienend, die eines der Markenzeichen
seiner Band geworden ist. Nicht immer ist er dabei politisch, versteht es ganz im Gegenteil perfekt, auch sanfte, teils dunkle Liebeslieder („Para“) oder rasante Tanzsongs („Puerto“) darzubieten.
Doch die Situation an der amerikanisch-mexikanischen Grenze ist und bleibt das Kernthema. Dabei geht es Burns und seinen Mitspielern nicht um Schuldzuweisungen, auch wenn sie mit 2006 auf der CD
„Garden Ruin“ kräftig mit der Bush-Regierung abrechneten. In Bonn spielen diese Songs keine Rolle, das ist Vergangenheit. Zu sehr versteht Calexico beide Seiten, bekennt sich auch deutlich zu
Wurzeln in beiden Ländern. Schon der Bandname stellt dies klar: Das tatsächlich existierende Wüstenkaff Calexico verbindet Kalifornien und Mexiko, ist zwischen den Welten gefangen – die Band
dagegen sucht ganz bewusst nach der Vereinigung, reißt Schranken nieder, spielt mit nahezu jedem Klang, derer die beiden Masterminds Joey Burns und John Convertino (Drums) habhaft werden können.
„Frankensteins of Instruments“ hat ersterer sich und seinen Kollegen einmal genannt. Nur dass ihnen ihr Geschöpf treu bleibt.
Die meisten Songs des Abends stammen vom aktuellen Album „Algiers“, benannt nach einem Stadtviertel von New Orleans. Es sind die stilistisch vielschichtigeren Stücke, die sich am weitesten von
dem herrlichen klassischen Mariachi-Sound eines „Crystal Frontier“ oder „Alone again or“ entfernen. Was überhaupt nicht schlimm ist, zumal Calexico die Klassiker mindestens ebenso gerne spielt,
sie integriert, zwischen den raffinierten Opener „Epic“ und das sehnsüchtige „Vanishing Mind“ verstreut und so das volle musische Potenzial offenbart. Martin Wenk und Jacob Valenzuela sorgen für
die klaren Trompetenklänge und greifen bei Bedarf auch zu Akkordeon oder Vibraphon, Bassist Ryan Alfred sorgt zusammen mit Keyboarder Sergio Mendoza und dem brillanten, stetig vorwärtsdrängenden
Drummer John Convertino für die Basis, Jairo Zavala, der mit seiner Band Depedro bereits im Vorprogramm aufgetreten ist, greift ebenso gerne zur akustischen wie zur Lap-Steel-Gitarre – und Joey
Burns darf singend von all dem erzählen, was ihn bedrückt. Ein Mahner und ein Poet, von denen es heutzutage viel zu wenige gibt. Das hat auch das Publikum im KunstPalast begriffen: Die gut 900
Zuschauer feiern Calexico mit lang anhaltendem Applaus.
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