Mit Jazz und Klassik ist das so eine Sache: Trotz zahlreicher gegenseitiger Befruchtungen, trotz Debussys Verwendung von Jazz-Harmonien (etwa in „Children's Corner“), trotz dem auf Rachmaninovs Cis-Moll-Prelude basierenden Russian Rag, trotz der Suiten von Duke Ellington und den Kompositionen George Gershwins und trotz der klassischen Elemente im Cool Jazz scheint es immer noch viele Menschen zu geben, die die beiden Genres als völlig gegensätzlich betrachten. Improvisation versus Komposition. Behauptet zumindest Eckart Runge, der zum Auftakt der Reihe „Concerto Discreto“ im Arithmeum diesen Widerspruch auf seine Weise auflösen wollte. Zusammen mit dem Pianisten Jaques Ammon setzte der Cellist und Gründer des Artemis Quartetts bei der Suche nach einer Synthese von Klassik und Jazz auf Tango, zwei Standards und einen eher unbekannten ukrainischen Komponisten.
Im Mittelpunkt des Programms des „Cello Projects“ stand Nikolai Kapustin. „Auf diese Musik haben wir nur gewartet“, sagte Runge enthusiastisch – auf diese Mischung aus klassischer Formenlehre und
Jazz-Harmonik, die sich nicht eindeutig einordnen lässt, irgendwie zwischen den Stühlen hängt und versucht, auf beiden zu sitzen. Immer wieder wechseln die Werke des Ukrainers zwischen swingenden
und gerade gespielten Passagen, finden sich Elemente aus Ragtime, Blues und Funk, ohne aber konkret zu werden. Diese hochkomplexe Melange war für Zuhörer wie Musiker eine Herausforderung, die
aber alle Beteiligten im Arithmeum meisterten. Runge und Ammon begeisterten durch perfekte Technik und enorme Dynamik und ließen sich selbst dann nur kurzfristig aus dem Konzept bringen, als
ersterer im Trubel einer Kapustin-Sonate falsch blätterte und auf einmal am Ende der Partitur des dritten Satzes war, während auf dem Klavier noch genug Notenmaterial der Abarbeitung harrte. „Das
ist mir noch nie passiert“, entschuldigte sich Runge.
Die durchkomponierten Miniaturen sowie die Sonate kontrastierte das Duo in der ersten Konzerthälfte mit Stücken von Astor Piazolla, George Gershwin und Chick Corea. Sowohl der „Porgy and
Bess“-Song „It ain't necessarily so“ als auch Coreas „Spain“, dessen Hauptthema viel knackiger hätte sein können, greifen klassische Elemente auf („Spain“ bezieht sich auf das Adagio aus Joaquin
Rodrigos „Concierto de Aranjuez“). Ob der Ausflug in den Tango allerdings zielführend war, sei dahingestellt, auch wenn hier sowohl Runge als auch der virtuose Ammon einmal mehr brillieren
konnten, ausdrucksstark und präzise spielten.
Die zweite Konzerthälfte bestand im Gegensatz zur eher kleinteiligen ersten aus lediglich zwei großen Kompositionen: Einer Jazz-Sonate von Lucio Franco Amanti und einer weiteren, ausgedehnten und
extrem vielfältigen Piazolla-Nummer, bei der vor allem Runge glänzen konnte. Amanti, selbst Jazz-Cellist, hat in seinen vier Sätzen unterschiedliche Bezüge herzustellen versucht, die allerdings
nicht alle griffen. Der sehr klare, balladeske Prolog erinnerte nur selten an den eher schrägen John Coltrane, der sich anschließende Bossa Nova wurde diesem Stil nur im Rhythmus, kaum aber in
der Melodieführung gerecht, und auch die zunächst kräftige, dann immer ruhiger werdende Hommage an Piazolla konnte mit Blick auf das zugrunde liegende Konzept nur bedingt zünden. An den Musikern
lag dies allerdings nicht: Sie lieferten wie gewohnt eine erstklassige Leistung ab.
Kommentar schreiben