Die Deutschen sitzen seit Jahren immer wieder an einer von Angela Merkel höchstpersönlich gefälschten Haltestelle, warten auf den Bus der Veränderung, der grundsätzlich nicht kommt, und gehen zum Abendessen nach Hause, zufrieden darüber, dass man sich zumindest auf einige Dinge noch verlassen kann. Ein trostloses Bild, das Christoph Sieber in seinem nicht mehr ganz taufrischen Programm „Alles ist nie genug“ zeichnet. Überall sieht der Kabarettist, der jetzt im Pantheon zu Gast war, das politische und gesellschaftliche Scheitern – und keinen interessiert es.
Die Bundestagswahl? Schon fast wieder verdrängt. Der konsequente Abbau des Sozialstaats? Wen kümmern schon die Schwächeren. Im In- wie im Ausland. Die humanitäre Katastrophe in Syrien? Spielt in
den Medien kaum noch eine Rolle. Die Flüchtlinge vor Lampedusa, die nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs von Verfolgung, Elend und Tod sind? Sind in zwei Wochen vergessen. Und so greift
Sieber („früher hätte ich nie geglaubt, dass ich das mal tun würde“) die Worte von Papst Franziskus auf, der eine „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anprangert. Mehr Empathie fordert der
43-Jährige. Und mehr Zorn. Nicht nur auf das Fernsehprogramm. Sondern auch mal auf essentielle Missstände.
Doch die Menschen haben verlernt, sich aufzuregen. Also übernimmt Sieber das für sie, rastet aus, wälzt sich auf dem Boden – und lässt unweigerlich die Frage aufkommen, warum das so peinlich
aussieht, wenn jemand so etwas für uns tut. Dabei geht es doch um wirklich wichtige Probleme. Etwa um die bereits erwähnte Wahl, die nur noch „ein Relikt der demokratischen Vergangenheit“ ist,
wie Sieber sagt. Die Farben wechseln, sonst nichts. Denn die Macht haben ohnehin längst die Konzerne, die zum Kauf verführen. „Man braucht uns nur noch als Konsumenten“, als emsige Biertrinker,
die so viel Flaschenpfand generieren, dass die Alten davon leben können, und als fröhliche Lebensmittelverschwender, während in der dritten Welt die Menschen Hunger leiden. In einer Dokumentation
habe er einmal einen Bäcker gesehen, der seinen Ofen mit altem Brot heizt, erzählt Sieber. Verschwendung kann ja so effizient sein.
Eigentlich soll das Kabarett nach Ansicht Siebers Trost spenden und Druck aus dem Kessel nehmen. Doch dieser Aufgabe kann er seiner eigenen Logik zufolge nicht mehr nachkommen. Denn wo keine Wut,
kein Zorn, da kein Druck. Und die Hoffnung auf eine bessere Zeit, die nimmt Sieber seinem Publikum ohnehin. Es sei denn, es kommt zum zivilen Ungehorsam. Aber wer glaubt das schon. Sieber nicht.
Immerhin gibt es gewisse Allheilmittel gegen schlechte Stimmung. Volksmusik zum Beispiel. Einmal Wumm-ta-ta, und alle klatschen begeistert mit. Die bedrückenden Worte wenige Minuten zuvor sind
vergessen. So macht es auch die Regierung: Ein paar Events, viel Show und wenig dahinter. „Die Regierung wird weiterhin die Pille der Beruhigung verteilen“, behauptet Sieber. Und Wohlstand
versprechen, auch wenn für diesen andere den Preis zahlen müssen. Da stellt sich die Frage, ob man die Frage nach der Moral überhaupt stellen sollte. Müsste man, wenn man Sieber zugehört hat.
„Ich hoffe, ich konnte sie ein bisschen beunruhigen“, sagt er. Das wäre ja zumindest etwas.
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