Eigentlich ist es ja eine Rock-Oper. Und ein ehemaliges Skandal-Musical. Ein Stück mit jeder Menge Strahlkraft, kraftvollen Songs und potenziell wagemutigen Szenen. Nun hat sich das Theater Bonn „Jesus Christ Superstar“ angenommen – und aus dem Stern einen Kreis gemacht. Das Ergebnis ist rund, ohne Ecken und Kanten, mit großartigen Sängern, aber einer viel zu zaghaften Inszenierung und Choreographie. Und vielen vertanen Chancen...
Schon das Eröffnungsbild zeigt am Premierenabend in der längst nicht ausverkauften Oper das Dilemma deutlich: Während der im notdürftig gestalteten Rund eines halben Amphitheaters sitzende Chor
die spätere Auspeitschungsszene ohne ersichtliche Energie pantomimisch vorwegnimmt, strotzt David Jakobs als Judas vor selbiger. Kraftvoll und ausdrucksstark singt er alle an die Wand, inklusive
Mark Seibert, dessen blondgelockter Sonnyboy-Jesus zunächst etwas farblos wirkt, sich aber immer weiter steigert und die anspruchsvolle Partie schließlich souverän meistert. Zugleich scheinen
beide sich zurückzuhalten, das rockige Kreischen zu scheuen, im Crescendo immer bei 90 Prozent stehen zu bleiben, um die wohl aus technischen Gründen nur bedingt rockende Band (musikalische
Leitung: Jürgen Grimm) nicht zu übertönen. Egal: „Habt Mut“, möchte man beiden zurufen, hofft auf jenes Schmettern aus tiefster Seele, das zumindest Jakobs immer wieder andeutet, aber erst in
seiner Todesszene herauslässt.
Elan ist es, was vielfach fehlt, Leidenschaft, hervorgerufen nicht zuletzt durch die kaum erkennbare Choreographie. Sowohl die Statisten und der Chor des Theaters Bonn (verstärkt durch Mitglieder
des Jugendchors des Theaters und Studenten der Folkwang Universität der Künste Essen), die nur an wenigen Stellen mehr machen dürfen als eine Menschenmasse symbolisierend auf die Bühne zu
strömen, als auch die Solisten könnten mehr Bewegung vertragen. Wieder ist es David Jakobs, der zeigt, was alles möglich wäre, der Stufen erklimmt und aus allen möglichen Positionen heraus seine
Stimme erhebt, während Seibert fast ausschließlich von der Mitte der Bühne aus agiert. Ähnlich ergeht es Patricia Meeden, die zwar mit wunderbar souliger Stimme die Songs der Maria Magdalena zu
einem Genuss werden lässt, leider aber nicht wie diese handelt. Wo ist der Wandel von Ausgestoßener zu Liebender? Und warum dieses lustlose Entkleiden zu „I don't know how to love him“, alles auf
einer Stelle, die Größe der Bühne überhaupt nicht nutzend?
Diese Liste lässt sich fortsetzen. Wannabe-Rambo Simon Zelotes (Marc Lamberty)? In der Mitte der Bühne. Hohepriester Kaiphas (Alexey Smirnov mit unglaublich tiefem Bass)? Statisch. Petrus (Tim
Ludwig)? Hat genau zwei Positionen. Nur Mark Weigel, der sowohl den Kaiphas-Vertrauten Hannas als auch, atemberaubend intensiv, den Pontius Pilatus spielt, nutzt ähnlich wie Jakobs den Raum aus.
Von diesen zwiegespaltenen, agilen Charakteren hätte man sich mehr gewünscht. Und von den Verrückten: Der Auftritt von Herodes (genial: Dirk Weiler) im „Mad Hatter“-Kostüm, auf einem Klavier
steppend und dabei herrlich schräg Jesus verlachend, ist eine der stärksten Szenen der Bonner Inszenierung, die durch eine Slow-Motion-Überblendung mit dem Duett von Maria und Petrus („Could we
start again, please“) sogar noch mehr an Qualität gewinnt. Das ist der Mut, den Regisseur Gil Mehmert und Choreographin Kati Farkas ruhig öfter hätten haben sollen. Nur nicht so brav. Gerade
„Jesus Christ Superstar“ kann das vertragen, verlangt es gar. Vor allem wenn man so großartige Stimmen zur Verfügung hat.
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