Ob Stoff, Klang, Film oder Publikum: John Bock arbeitet mit allem. Sein Kunstbegriff lässt sich nicht in eine konventionelle, statische Ausstellung zwängen – und die Bundeskunsthalle hat dies glücklicherweise auch nicht versucht. Deren neuer Intendant Rein Wolfs ist es in seiner ersten Bonner Arbeit als Kurator gelungen, das gesamte Ouvre Bocks abzubilden und der Schau unter dem abstrakten Namen „Im Modder der Summenmutation“ zugleich einen performativen Charakter zu geben, wie er am Bundeskanzlerplatz so bislang nicht denkbar war.
Der Auftakt einer „Neuprogrammierung“, wie Wolfs sagt. Ein vielversprechender. Denn das Ergebnis ist eine Ausstellung jenseits aller Genre-Grenzen, die sich kontinuierlich ändert, die atmet und
die zu einem gewissen Teil auch mit den Besuchern interagieren will. „Wir wollen eine prozesshafte Atmosphäre schaffen“, erklären Wolfs und Bock. So wird in der ersten Ausstellungswoche mitten in
den faszinierend gestalteten Räumen ein neuer Film gedreht, ein im Entstehen begriffenes Kunstwerk, geboren aus und in Kunst. Das Ergebnis ist dann gegen Ende der Schau zu sehen. Und auch einige
alte Vorträge, wie Bock seine Performances nennt, werden vor Ort recycelt, umgewandelt, neu konzipiert.
„Der Live-Moment ist essentiell“, erklärt Bock mit Blick auf die Dynamik der Semi-Retrospektive. Ein reines, passives Rezipieren würde schon deswegen nicht genügen. Aus diesem Grund hat die
Bundeskunsthalle auch auf Führungen verzichtet und stattdessen in jedem Raum Mitarbeiter platziert, die jederzeit ansprechbar sind, Fragen beantworten sollen oder für Diskussionen über die Kunst
zur Verfügung stehen. Vor allem in einem Videoraum dürfte dies essentiell sein: Die dort gezeigten Filme haben zum Teil das Potenzial, zu polarisieren, sind mitunter recht blutig und gewalttätig,
etwa als bewusstes Spiel mit Horror-Genres. Daher sind diese Filme auch erst ab 16 Jahren empfohlen, die beiden im Rahmenprogramm präsentierten Werke gar erst ab 18.
Dabei ist Bock keiner, der nur die Provokation als Ausdrucksmittel kennt. Ganz im Gegenteil: Fast schon verspielt wirken manche Räume, etwa jenes schräge, von „Ein Herz und eine Seele“
inspirierte Set, in dem leichenhaft eine riesige Puppe liegt, über die nicht gesprochen werden soll. Ein Sinnbild der Verdrängung inmitten des Zitate-Wahns. An anderer Stelle finden sich
Anspielungen auf Samuel Beckett oder Jean-Paul Sartre, an Gangsterfilme aus den 70ern – und an Bocks eigene Vergangenheit als Sohn eines schleswig-holsteinischen Landwirts. Für den eigenen
Bauernhof hat der Künstler sogar zum Pinsel gegriffen, gleich ein ganzes Panorama gemalt, obwohl er das früher nach eigenen Angaben nie machen wollte.
Bock gelingt es auch, den Blick beziehungsweise das Ohr auf Kleinigkeiten zu lenken: In einer schalldichten Box läuft, einem Uhrwerk gleich, eine komplexe Maschine, die sonst als nebensächlich
kategorisierte Geräusche erzeugt. Das Klicken einer sich drehenden Wählscheibe, das Klackern von Stöckelschuhen, das Ratschen eines Kleiderbügels, der auf einer Stange verschoben wird – all dies
wird mit Mikrofonen eingefangen und über Lautsprecher nach draußen getragen, verstärkt und aufgespalten. Eine faszinierende Idee und nur eins von vielen Elementen, mit denen Bock für eine
fortwährende Erweiterung des Kunstbegriffs plädiert. Ebenso wie Rein Wolfs, der sich schon auf den November freut. Dann nämlich ist die Bundeskunsthalle dank weiterer Ausstellungen voll, zeigt
historische, klassische und zeitgenössische Kunst unter einem Dach. „Das ist nach meiner Auffassung unsere Aufgabe“, sagt Wolfs.
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