„Wer denkt, das Original ist brutal – das lässt sich steigern“, verspricht Sarah Hakenberg. Und tritt im Pantheon-Casino zugleich den Beweis an: In ihrem fröhlich gesungenen „Struwwelpeter Reloaded“ werden Kinder mit Drogen vollgepumpt, zu Serien-Tiermördern erzogen und verstümmelt – was aber nicht so schlimm ist, so lange wenigstens das Handy noch bedienbar ist. Ach für jedes Handicap gibt es eine Handy-App. Oder eine andere Lösung. Denn im Gegensatz zu dem inzwischen fast 170 Jahre alten Original haben Hakenbergs Lieder einen, wenn auch ziemlich makaberen, Trend zum Happy-End. Die Hoffnung auf eine Katharsis, auf eine Läuterung durch die Tragödie, dominiert ihr Programm – doch gerade diese Option ist oft die erschreckendste.
Wenn etwa die fröhlich durch die Welt hüpfende Aline das ihr verabreichte Ritalin, die Tranquilizer und die Antidepressiva gewinnbringend weiterverkauft und so zur erfolgreichen Drogenhändlerin
wird oder der sich nach einem Haustier verzehrende Rolf von der fürsorglichen Familie mit einem (beziehungsweise 803) schier ewig lebenden Hamster beschenkt wird, der trotz aller Bemühungen des
zunehmend genervten Jungen in all der Zeit einfach nicht das Zeitliche segnen will, offenbart sich ein Mangel an elterlicher Aufmerksamkeit, den Sarah Hakenberg gnadenlos aufdeckt. Dem
satirischen Stil des „Struwwelpeters“ folgend aktualisiert sie die Geschichten, kehrt den Suppenkasper in den Burger-mampfenden drallen Kalle um, vereint Hans-guck-in-die-Luft und den
Daumenlutscher zur Handy-versessenen Mandy und ersetzt den Tiere quälenden bösen Friederich durch den Mädchen-Mobber Frank, der schnell eine Abreibung kassiert. Vorsicht Frauenpower. Dabei
gelingt es der 34-Jährigen meisterhaft, der Gefahr einer altbackenen Aufpfropfung zu entgehen: Ihre Lieder wirken frisch, frech, fröhlich, frei – und morbide. Selbst ihre Adaption von Georg
Kreislers „Tauben vergiften im Park“, in der sie zum „Hündchenlynchen in München“ aufruft (allein für diesen Reim gebührt ihr Hochachtung), sorgt auf der einen Seite mit der Vorstellung von
fliegenden Paris-Hilton-Chihuahuas für Lacher, sollte auf der anderen Seite aber zu denken geben.
Klar wird auch, dass Sarah Hakenberg ihr Programm nicht aus einer Laune heraus zusammengezimmert, sondern sich vielmehr intensiv mit dem Struwwelpeter beschäftigt hat. Einige skurrile Adaptionen
hat sie sogar mitgebracht, etwa den „Struwwelhitler“, den „Anti-Struwwelpeter“ oder den „Schwuchtelpeter“. Nein, neu ist die Idee Hakenbergs nicht, das sagt sie von Beginn an. Aber dennoch
erfrischend, von überragender Text- und Musikqualität. Von diesen gepflegten Bosheiten wird man hoffentlich noch viel mehr zu hören bekommen.
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Major Duhart (Sonntag, 05 Februar 2017 23:45)
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