Wie lockt man einen Jugendlichen, der im Dschungel unter Wölfen aufgewachsen ist, in die Zivilisation? Mit Torte und Mädchen. Zumindest in der Version von „Das Dschungelbuch“, das am Sonntag im Jungen Theater Bonn (JTB) Premiere hatte. Kindgerecht hat Regisseur Moritz Seibert in Anlehnung an die Geschichten Rudyard Kiplings den Stoff aufbereitet, zugleich aber immer wieder auf die Einflüsse des Disney-Zeichentrickfilms verwiesen. Ähnlich frei wie in diesem verwandelt sich auch in Seiberts Fassung die an sich recht düstere Erzählung in eine harmlose, verniedlichte. Die das Ensemble ansprechend umsetzt. Nur auf die eingesprenkelten Lieder hätte man gut verzichten können...
In einer großen Rückblende erinnert sich Mowgli (großartig: Ferdi Ötzen) auf einer beeindruckenden Bühne daran, wie er als Baby von einem Wolfspaar (Carlo Himmel und die bezaubernde Katharina
Felschen) adoptiert wurde, nachdem der Tiger Shir-Khan (leider nicht wirklich bedrohlich: Bernard Niemeyer) seine Eltern getötet hatte. Vom Wolfsrudel aufgezogen, vom trotteligen Bär Balou
(Christian Steinborn, der durch die Überdrehtheit seiner Figur vor allem für Kinder ein Sympathieträger ist) und dem Panther Baghira (monoton und farblos: Jan Herrmann) unterrichtet und bewacht,
kommt für Mowgli schließlich die Zeit, zurück zu den Menschen zu gehen. Was natürlich eine Trotzreaktion hervorruft. Und die unausweichliche Fortsetzung in Disney-Manier: Das Treffen mit der
schwerhörigen, hypnotischen Schlange Kaa (brillant: Andrea Brunetti) und dem Elefantengeneral Hathi (Carlo Himmel mit Gasmaske als Rüssel-Ersatz), später die Entführung durch die Hippie-Affen –
letztere übrigens eine der besten Szenen des Stücks mit zahlreichen Anspielungen, die an anderer Stelle ebenfalls gut getan hätten. Verzichtet hat Seibert dagegen auf eine direkte Konfrontation
zwischen Shir-Khan und Mowgli, somit aber auch auf einen Moment der Emanzipation des zum jungen Manne gereiften Dschungelkindes. Dieses wird bis zum Schluss fremd bestimmt, vor allem von Baghira
geleitet und hat so keine Chance, sich von selbst für das Leben als Mensch zu entscheiden, sich abzunabeln von der Welt seiner Kindheit, wie dies bei Kipling geschieht. Oder bei Disney.
Während die JTB-Produktion auf eine Moral verzichtet, legt sie – wie zuletzt bei vielen Stücken – großen Wert auf eine Semi-Musicalisierung. Was in diesem Fall keine glückliche Entscheidung war.
Die netten Songs von Stephan Witt und Valerie Joy Simmonds gehen zwar gut ins Ohr, stellen allerdings die Darsteller vor zum Teil beträchtliche Probleme. Denn so exzellent etwa Ferdi Ötzen spielt
– mit dem Gesang ist ausgerechnet er, von dem die Affen selbiges lernen wollen, ebenso wie auch andere Ensemble-Mitglieder überfordert. Vor allem in Kombination mit den geforderten Bewegungen und
den zu transportierenden Emotionen scheitern die Lieder, abgesehen von dem Ohrwurm „Wie werd ich Bär“. Und den Liedern von Kaa: Andrea Brunetti sorgt mit voller Stimme und schöner Intonation für
zwei musikalische Höhepunkte. Wenigstens etwas.
Die Kinder haben an der Aufführung aber unabhängig von manchen Schwächen ihren Spaß, lachen über den tollpatschigen Balou und die verrückten Affen, genießen die knapp zweistündige Show. Auch wenn
in Seiberts Inszenierung Kiplings dem Entwicklungsroman nahestehende Geschichten nur noch als Motivgeber fungieren, funktioniert der Stoff doch auf gewisse Weise immer noch. Insofern kann das JTB
wohl bis Weihnachten mit einem gut gefüllten Haus rechnen.
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