Da kauern sie, im Hort der deutschen Kulturgeschichte, zwischen Gemälden, Statuen und jeder Menge unnützem Tand, bekränzt von der Reichstagskuppel, und arbeiten auf ihre eigene Vernichtung hin. Auf einer vollgerümpelten, überladenen Bühne hat Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson in den Kammerspielen Bad Godesberg seine Vorstellung von Hebbels „Die Nibelungen“ inszeniert und die Figuren dieses urgermanischen Stoffes in einen komplexen Mahlstrom von Ideen und Interpretationen gepackt, der viele Schichten offenlegt – und dabei ab und an einfach zu viel will.
Mal dürfen die Charaktere gegen den als narrative Instanz auftretenden Hebbel (Wolfgang Rüter) aufbegehren, dann wieder werden sie, wie etwa Giselher (Benjamin Berger), zu Karikaturen ihrer
selbst. Mal dehnt sich die Stille ins beinahe Unerträgliche aus, dann wieder scheint die Szenerie mit chaotischen Elementen und aus dem Kontext fallenden Szenen (etwa einer Diskussion über den
Kunstbegriff inklusive Jonathan-Meese-Ausraster) überzukochen. So steht die Inszenierung im ständigen Spannungsverhältnis zwischen Texttreue und freiem Spiel. Bis zu einem gewissen Grad dürfen
die Schauspieler sogar bewusst improvisieren, was zu herrlichen Momenten führt. Allerdings wünscht man sich manchmal etwas mehr Konsequenz, die Ausarbeitung mancher Einfälle und die Streichung
anderer chaotischer Fragmente.
Doch auf wem liegt hier eigentlich der Fokus, welche Geschichte wird auf die Bühne gebracht? Nicht die des in diesem Fall untypischen, wenig blondgelockten Siegfrieds (Hajo Tuschy): Seine
Heldentaten gehören vielleicht ins Reich der Legenden, nicht jedoch in Arnarssons Inszenierung. Der Kampf gegen den Drachen wird, das ist bei Hebbel bereits angelegt, lediglich rückblickend
erzählt (das allerdings dank eines prahlenden Helden gleich mehrfach), die Überwindung Brunhilds im Auftrag von König Gunther (Benjamin Grüter) geschieht ungesehen in einer Nebelwand. So bleibt
Siegfried letztlich nur als von den Burgundern verratenes Opfer sichtbar – als eines mit den Kräften eines Bären und der Haut eines Drachen, aber eben auch mit der Vertrauensseligkeit eines
Golden Retrievers. Ähnliches gilt für die stolze Brunhild (Johanna Falckner mit eisigem Stolz und faszinierender Grausamkeit): Trotz ihrer Stärke besiegt, betrogen, missbraucht, zur Hure
degradiert und schließlich weggeworfen, von der Gier Gunthers und seiner Mannen verzehrt.
Also Kriemhild und Hagen als zentrale, in ein Netz aus Rache gewobene Charaktere. Der Judas und die von ihm zur Furie gewandelte Liebende. Doch ist Laura Sundermann selbst im zweiten Akt, in dem
sie dem Worte nach die Titelrolle spielt, zu fahl für die vielschichtige Figur. Zwar steigert sie sich von der unsicheren, gar schüchternen Jungfrau zu Beginn des Stücks mimisch immer mehr in die
von Wahn zerfressene mittelalterliche Medea hinein, kann ihre Stimme aber nicht daran anpassen. Die Leidenschaft, die Kriemhild beseelt: Man sieht sie, doch man hört sie nicht. Dagegen scheint
Glenn Goltz mit Hagen Tronje eine Traumrolle gefunden zu haben. Ihm tropfen Arroganz, Hinterlist und Verschlagenheit aus allen Poren, dazu überzeugt ein fast schon mephistophelischer,
verstörender Charme. Ihm kommt, übrigens als einzigem, auch das offene Ende zu Gute: Auf eine Kunstblutschlacht in der Gemetzelhalle Etzels verzichtet Arnarsson (ebenso übrigens wie auf wichtige
Figuren wie Dietrich von Bern) in dieser mutigen, aber nur bedingt zugänglichen Inszenierung. Kein Untergangsszenario, kein Burgunder-Ragnarök. So bleibt Kriemhild ihre Rache, die letzte
Konsequenz des Trauerspiels, versagt. Auch sie wird damit zum Opfer. Und Hagen, der zuvor Kriemhilds Kind mit Etzel symbolisch zerschmettert, endgültig zum Bann der Nibelungen.
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