Wer heutzutage noch glaubt, Gruppen wie Gregorian hätten auch nur ansatzweise etwas mit im Kloster lebenden Mönchen zu tun, die alte Liturgien im Stil des 13. Jahrhunderts zu Gehör bringen, scheint in den vergangenen 15 Jahren der Massenware Pop gänzlich entsagt zu haben. Zu beliebt ist die pompöse Kreuzung von gregorianischem Gesangsstil und modernen Hits, zu präsent das ein Millionenpublikum ansprechende Projekt. Dennoch zeigten sich auch in der Beethovenhalle, in der Gregorian nun auf ihrer „Epic Chant“-Tour Station gemacht haben, einige Besucher enttäuscht über das völlige Fehlen sakraler Melodien.
Was dagegen unerwähnt blieb, war die teils grauenhafte Verschandelung einiger der schönsten Rock- und Pop-Songs, die brachial in ein viel zu enges, uniformes Kutten-Arrangement gezwängt wurden.
Schmerzhafte Momente in einem Konzert, das zwischen grandiosem Gesang, übertriebenem Pathos und ermüdendem Einheitsbrei changierte.
Besonders Balladen haben es Gregorian angetan – doch gerade diese gefühlvollen Stücke benötigen eine Dynamik und Emotionen, die die Sänger in ihren langen Goldkutten oft nicht einbringen. So auch
in dem aktuellen, von Filmhits durchsetzten Programm: „Sound of Silence“ blieb kontinuierlich auf einer Lautstärke und in der selben Instrumentierung, unfähig sich zu entfalten; ähnlich erging es
Queens „Who wants to live forever“, in dem statt einer explosionsartigen gesanglichen Steigerung im Mittelteil lediglich ein brennendes Theaterschwert in die Höhe gereckt wurde. Am schlimmsten
traf es aber die Öko-Fantasy-Hymne „The Last Unicorn“, der Drummer Harry Reischmann einen völlig unpassenden Hardrock-Anstrich verlieh, während die beängstigend gefühllos klingenden Semi-Mönche
Star-Wars-Laserstrahlen aus ihren Fingern schießen ließen, so als ob sie sich im Film geirrt hätten. Dabei ging es auch anders: Als im Zugabenteil zunächst Gitarrist Gunther Laudahn, Drummer
Reischmann und die Bonner Geigerin Pauline Moser Leonard Cohens „Halleluja“ anstimmten, dann nach und nach die Gregorian-Mitglieder hinzustießen und dabei völlig unprätentiös die Künstlichkeit
ihres Choralgesangs verließen, wirkte zum ersten Mal ein ruhiges Lied ehrlich, überzeugend und schön.
Natürlich gibt es auch Stücke, die dem Stil von Gregorian entgegenkommen. Die beiden Vangelis-Titel „Chariots of Fire“ und „Conquest of Paradise“ etwa, das (leider vom Arrangement her völlig
verhunzte) legendäre „O Fortuna“ – und Rammsteins „Engel“, bei dem Amelia Brightman als Lilith-Reinkarnation inmitten der Bruderschaft einen starken Auftritt hinlegte. Einzig das prägnante
Schnarren von Till Lindemann fehlte, wurde durch den kraftvollen Sopran der lasziven Sängerin aber würdig ersetzt. Ähnlich überzeugend war „Bring me to live“. Bei dem Evanescence-Song verwirrte
lediglich die halbe Disco-Kugel auf dem Kopf Brightmans. Übrigens nicht die einzige Gregorienne in der Truppe: Auch die russische Sängerin und Pianistin Eva Mali hatte ihre Auftritte (etwa mit
„Nella Fantasia“), überzeugte aber am meisten bei dem instrumentalen „The Piano“-Thema, das sie am brennenden Flügel zusammen mit Pauline Moser präsentierte.
Diese Highlights können allerdings ebenso wenig wie die immer wieder eingespielten selbstironischen Videos darüber hinwegtäuschen, wem Gregorian mit ihrem sakral anmutenden, künstlichen Gesang
wirklich huldigten. Während das Publikum jubelte und die Sängerinnen und Sänger mit stehenden Ovationen ehrte und die Musen sich verzweifelt ihre Haare rauften, rieb sich Mammon wahrscheinlich
beglückt die Hände. Und sucht inzwischen schon nach dem nächsten gut vermarktbaren Cover-Song für die Einheits-Kutte.
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