Für sie ist die Show eine einzige große Liebeserklärung, an Gott, die Welt und die Menschheit: Queen Esther Marrow ist zusammen mit ihren Harlem Gospel Singers in die Beethovenhalle gekommen, um jene Botschaft zu verbreiten, die sie schon zusammen mit Martin Luther King vertrat. „Love can build a bridge“, singt sie – und reicht dem Publikum die Hände. Jeder kann nach vorne kommen, Queen Esther einmal hautnah erleben, diese 73-jährige Ikone des Gospel berühren, deren unverwechselbare, kraftvolle Stimme noch immer in einem Atemzug mit Ella Fitzgerald, Aretha Franklin und Mahalia Jackson genannt werden kann und die ihren Auftritt Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und natürlich Martin Luther King gewidmet hat. Doch nur wenige wagen den Gang an den Bühnenrand, die meisten scheinen zu bequem oder zu distanziert, belassen es bei einem Winken. Schade – denn die Show zum 50-jährigen Bühnenjubiläum von Queen Esther hätte mehr verdient. Viel mehr.
Schon die Harlem Gospel Singers, die Queen Esther liebevoll ihre Babys nennt, sind eine Klasse für sich. Vier Männer und vier Frauen, die wahrscheinlich mühelos einen 40-köpfigen Chor an die Wand
singen könnten, aber auch die leisen Töne perfekt beherrschen. Zudem verfügt jedes Mitglied über beeindruckende Solo-Qualitäten, allen voran Bariton LaFredrick Coaxner, der mit jeder Menge Soul
und Charisma seine Stimme zum Lobe Gottes erhebt. Und zu dem von Queen Esther, natürlich. So wie alle anderen, vom herrlich sonoren Bass Bryan Dyer über den glasklar klingenden Tenor Rodney
Archie bis hin zu Sopranistin Tehillah Smith. Nicht umsonst hat das Oktett mit „Forever Young“ ein gezielt an die Gospel-Königin gerichtetes Lied im Programm. „Mögest du auf ewig jung bleiben“,
singt Jahlisa Norton im Namen der gesamten Band. Ein frommer Wunsch.
Dabei gibt es durchaus Momente, in denen sich dieser Wunsch zu erfüllen scheint. Wenn Queen Esther Marrow singt, wirkt sie tatsächlich jung, frisch, voller Energie. Ob in der Würdigung ihrer sie
stark prägenden Großmutter („Grandma's Hands“) oder dem „Love can't build a bridge“ vorangehenden „Power of Love“, diese Stimme ist so eindringlich wie nur ganz wenige. Den absoluten Höhepunkt
setzt sie allerdings mit „Elijah Rock“: In himmlischen Höhen schreiend, in irdischen Tiefen grummelnd, dann wieder im Duett mit dem exquisiten Saxofonisten Marquis „Q“ Sayles den Ton angebend ist
ihre Darbietung wie eine Offenbarung. Dass Queen Esther da noch das Publikum zum Mitschnipsen animieren muss, erstaunt um so mehr.
Doch zwischen diesen Momenten mächtigen Aufbäumens zeigt sich Müdigkeit im Gesicht von Queen Esther. Dann sitzt sie neben dem von ihrem langjährigen Musical Director Anthony Evans bespielten
Flügel oder geht gleich ganz von der Bühne, überlässt diese ihrem fähigen Nachwuchs und schöpft neue Kraft für den nächsten musikalischen Ausbruch. Noch geht das. Und so lange Queen Esther nicht
so endet wie Montserrat Caballé, die inzwischen nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, so lange sie noch etwas zu geben hat, kann man sich an dieser Ausnahmefrau erfreuen. Und ihr zumindest
einmal, als Zeichen der Liebe, die Hand reichen.
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