Was kann man nicht alles auf dem Kopf balancieren: Schüsseln, Vasen, sogar riesige Bierbank-Konstrukte. Für die Mitglieder des Chinesischen Nationalcircus kein Problem. Im Reich der Mitte sind sie Stars, die Schlangenmenschen, Jongleure und Akrobaten, die regelmäßig durch Deutschland touren und das Publikum mit spektakulärer Körperbeherrschung faszinieren. In ihrer neuen Show „Shanghai Nights“ verschlägt es das Ensemble nun in eine Spelunke in jener Hafen-Metropole, in der in den 30er und 40er Jahren Ost und West aufeinanderprallten. An sich ein spannendes Konzept. Wenn nur die Dramaturgie zünden würde.
Am Talent der Artisten besteht kein Zweifel: Die Zuschauer in der erschreckenderweise nur zu gut einem Drittel gefüllten Beethovenhalle sahen Nummern auf extrem hohen Niveau, darunter eine
seilspringende, auf einer Kugel balancierende Einradfahrerin, einen meisterhaften Diabolo-Künstler sowie eine Kontorsionistin, die im stehenden Spagat um ihre eigene Hüfte zu rotieren schien.
Atemberaubende Kunststücke – doch zugleich fehlte es an dem passenden Unterbau, an der richtigen Atmosphäre. Weder Musik noch Licht kreieren jenen Zauber, der die Seele berührt und aus
anerkennendem Staunen eine beinahe magische Faszination macht. Zumal auch die Geschichte, die in „Shanghai Nights“ offenbar erzählt werden soll (darauf deutet vor allem das deutschsprachige
Video-Intro hin), letztlich im Sande verläuft. Sie mag nur als Rahmen für die Artistik dienen – doch wenn dieser Rahmen in sich zusammenfällt, findet auch die Kunst des Ensembles keinen Halt
mehr.
Dabei wirken manche Nummern wie die herausgeschnittenen Szenen eines mittelmäßig verfilmten Off-Broadway-Musicals. Wenn etwa einige Chinesen in Matrosenanzügen zu „In the Mood“ tanzen, wirkt das
eher peinlich und leidenschaftslos als unterhaltsam, was sich auch im sehr zurückhaltenden Applaus äußert. Die Auftritte des riesenhaften Zauberkünstlers, der in beiden Fällen immer wieder
fröhlich Karten aus der Luft pflückt oder sie in Massen auf der Bühne verstreut, wirken sogar noch willkürlicher. Überhaupt ist es bedauerlich, dass sich die erste und die zweite Hälfte in vielen
Punkten gleichen: Zweimal tauchen überaus biegsame Tänzerinnen in Militärkostümen auf, zweimal der magische Schnellfeuer-Karten-Croupier, zweimal Einradfahrerinnen, die sich Schüsseln auf den
Kopf kicken. Technisch großartig. Aber eben auch emotional leer.
Natürlich darf in einem traditionellen Circus auch ein Clown nicht fehlen, der sich nicht nur gegenüber seinen Bühnenpartnern, sondern auch gegenüber dem Publikum einiges herausnehmen darf. So
spritzt er in einer chinesischen Variante von „Dinner for One“ Wasser in die vorderen Reihen, auch Nudeln finden ihren Weg in den Saal. Amüsanter ist allerdings sein Versuch, einer Art
Hütchenspieler etwas Brot zu entwenden – eine köstliche Pantomime mit einem klaren Gewinner. Den Applaus zum Ende der Show, zu der sogar noch ein Drachentier auftaucht, haben dennoch alle
Artisten gleichermaßen verdient.
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