Gegensätze ziehen sich an – nach diesem Motto veranstaltet der WDR in der Harmonie seit Jahren das Crossroads Festival als Nachfolger des legendären Rockpalasts. Möglichst unterschiedliche Bands treten in vier Doppelkonzerten auf, mal direkt aufeinanderprallend, mal in Personalunion ein Kontrastprogramm zu den anderen Tagen aufbauend. So auch wieder in der vergangenen Woche: Da trafen manisch depressive Noir-Americana-Gitarristen mit monotoner Nick-Cave-Attitüde (New Desert Blues) auf Gute-Laune-Punkpop-Formationen aus Düsseldorf (Angelika Express), ergänzten sich niederländische Neo-Folker im kreativ-atmosphärischen Klanggewand im Stil der Fleet Foxes (Mister & Mississippi) und Songwriter mit schmückendem Beiwerk (Honig), trafen Akustik-Country-Punker (Tim Vantol) auf Hardcore-Verwüster (John Coffey). Eine an sich reizvolle Mischung. Doch erst am dritten Abend kam der gewohnte Crossroads-Applaus auf, die enthusiastischen, nicht enden wollenden Zugabe-Rufe. Dank Tim Vantol.
Viel brauchte der charismatische Sänger nicht, um den Funken der Begeisterung zu einem wahren Flächenbrand werden zu lassen: Eine Gitarre und seine Reibeisenstimme, das reichte. Mit erdigen
Songs, die manchmal an Billy Bragg, manchmal aber auch an die Pogues erinnern, sowie der Ausstrahlung eines Justin Sullivan legte Vantol los, stellenweise unterstützt von Schlagzeug, E-Gitarre
und Kontrabass: Da wurde gesprungen und kollektiv gesungen, energetisch geschrammelt und ebenso gejubelt. Für den Holländer, der nach eigenen Angaben seine Musikerkarriere in einer Hamburger
Kneipe vor drei Besoffenen und einer älteren Dame begonnen hat, ging mit diesem Konzert ein Traum in Erfüllung. Für das Publikum auch: Was für eine Stimmung, was für eine Leidenschaft, was für
ein Spaß.
Den hatten Fans der härteren Gangart auch im Anschluss. Denn John Coffey, benannt nach dem liebevollen Hünen aus Steven Kings „The Green Mile“, zeigte keinerlei Zurückhaltung: Mit brachialem,
aber insgesamt recht vorhersagbarem Hardcore-Rock peitschte die Band ihre Anhänger auf, die zeitweilig mit wildem Pogo-Tanz gar zu mehr oder weniger freiwilligen Flipperkugeln mutierten.
Headbanging und andere Posen waren auf der Bühne an der Tagesordnung, auch wenn zwischendurch immer mal wieder kurze Momente brodelnd-drohender Ruhe auf den nächsten Ausbruch vorbereiteten.
Allerdings ließ die Band es an Durchhaltevermögen vermissen – nach noch nicht einmal einer Stunde war das Lärm-Gewitter vorübergezogen.
Das Beste kam natürlich zum Schluss. Und zwar gleich in doppelter Ausführung. Denn sowohl Big Sugar als auch King King waren ein echter Ohrenschmaus. Rock Reggae und souliger Blues vom Feinsten.
Die extra für das Konzert eingeflogenen Kanadier von Big Sugar legten von Anfang an die Messlatte auf ein bei diesem Festival noch nicht erreichtes Niveau, kombinierten mühelos 70er-Jahre-Blues
mit Dub und Roots und brachten damit alle, einschließlich des Tontechnikers und der Kameraleute, zum tanzen und grooven. Mal setzte Gordie Johnson mit seiner Doppelhals-Gitarre Akzente, dann
wieder Kelly Hoppe mit der Mundharmonika oder DJ Friendliness mit ein paar Raggamuffin-Anklängen – immer aber sorgte der omnipräsente Bassist Garry Lowe mit lässigem Rhythmus für das bebende
Fundament.
King King setzten diesem Crossroads-Festival schließlich die Krone auf. Alan Nimmos markante, eindrucksvolle Stimme und seine virtuosen Gitarren-Soli überzeugten ohne Abstriche, ganz gleich ob
Soul, Blues oder Rock angesagt war. Druckvoll oder zart, alles kein Problem für den fröhlichen Schotten, der das Publikum innerhalb kürzester Zeit in seinen Bann gezogen hatte. So drehte er etwa
bei „Old Love“ kurzerhand die Lautstärke ganz runter – und nach und nach kam der Saal zur Ruhe, hörte zu, lauschte dem filigranen Solo. Atemberaubend. Mehr davon.
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