Es ist schmerzhaft für Lloyd Cole, seine Songs zu spielen. Weil sie Geschichten erzählen, die ihn selbst zum Teil schon lange beschäftigen. Aber auch, weil seine Finger noch ganz zart sind, wie er jetzt in der Harmonie gesteht. Also muss er leiden. Und das offenbar ganz bewusst. „Wenn meine Haut wieder wie Leder ist, kann ich keine Gitarre mehr ansehen. Dann mache ich Pause und gehe erst wieder auf Tour, wenn die Finger erneut weich geworden sind“, gesteht er. Konzerte als Selbstkasteiung also. „Aber macht euch keine Sorgen“, fügt er hinzu, „Ich bin ein harter Kerl“. Klingt vielversprechend.
In der Harmonie, wo Cole sein neues Album „Standards“ vorstellt, ist von Schmerz oder Härte jedoch nichts zu hören. Von der „unverschämt elektrischen“ Rock-n-Roll-Attitüde, die laut Pressetext
angeblich auf der CD herrschen soll, noch viel weniger. Denn während der britische Songwriter, der in den 80ern mit seiner Band The Commotions seine größten Erfolge feiern konnte, im Studio
immerhin noch auf Drums, Bass und Piano zurückgriff, steht er nun ganz allein auf der Bühne, nur mit zwei akustischen Gitarren bewaffnet und tut das, was er an an diesem Abend am besten kann:
Kleine Song-Pretiosen in den Raum zu werfen, die mit der Wucht eines sommerlichen Nieselregens auftreffen. Ein einlullendes Erlebnis. Jeder Tropfen gleicht dem vorherigen, besteht aus leichten
Folk-Pickings und einer warmen, sanften Stimme, ist ein schönes, sauberes, liebevolles Lied ohne Ecken und Kanten. Und letztlich zumindest musikalisch ohne Profil. Kein Stück drängt sich nach
vorne, fällt aus dem Rahmen, wird zum Weckruf, alle reihen sich vielmehr aneinander, so wie auf einer Kunstperlenkette. Inhaltlich bemerkenswert, aber äußerlich austauschbar.
Erst gegen Ende wagt es Lloyd Cole, ein paar andere Töne anzuschlagen. Zwar wird das alte „My little butterfly“ ohne Streicherteppich und 80er-Jahre-Sound ebenfalls – textlich völlig zu Recht –
ins Folk-Balladen-Gewand gepresst, so manche Commotions-Songs kommen aber dann doch etwas kraftvoller daher. Angeschlagene Akkorde ersetzen zunehmend gebrochene, Tempo und Druck erhöhen sich.
Auch stimmlich zeigt Cole jetzt viel mehr Bandbreite, legt an manchen Stellen eine gewisse Härte in den sonst vorherrschenden Schmelz, jubiliert in den Höhen, grummelt in den Tiefen, so als ob
sein Organ sich ebenso wie seine Finger erst die nötige Hornhaut hat zulegen müssen. Da ist er ja, der Schmerz. Endlich. Schade, dass dieser Variantenreichtum nicht schon früher zum Einsatz kam.
Dem Sommerregen hätte eine kleine erfrischende Brise zwischendurch ganz gut getan.
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