Gorge Mastromas ist ein Arschloch. Ein Mistkerl erster Güte, ein Egomane ohne Moral, ein pathologischer Lügner, ein Konstrukt und das Symbol einer Symptomatik. Ein Mann, der sich nimmt, was er will, und vernichtet, was ihn bedroht, ein Käufer und Zerstörer ganzer Unternehmen, kurzum eine Heuschrecke der übelsten Sorte. Und doch irgendwie, in seiner verstörenden Art, ein Verlorener, mit dem man beinahe so etwas wie Mitleid empfindet. Einer, der sich selbst der Gier und dem Geld geopfert hat und sich beständig weiter opfert, weil es das einzige zu sein scheint, was ihn noch aufrecht erhält. Diese Personifikation der Märkte hat Regisseur Stefan Rogge nun in der Theater-Werkstatt in Bonn auf die Bühne gebracht. Und dabei zum Nachdenken angeregt.
Dennis Kelly, dessen Stücke ohnehin in Bonn sehr beliebt sind (2013 stand etwa „Waisen“ auf dem Spielplan), hat mit „Die Opferung des Gorge Mastromas“ ein zutiefst systemkritisches Werk
geschrieben, das in weiten Teilen von einem Erzähler getragen und nur in zweiter Reihe szenisch dargestellt wird. Eine schwierige Mischung, zumal der Brite sich mit Dialogen schwertut, sie mit
Wiederholungen und Belanglosigkeiten überhäuft, sie dadurch unnötig verkünstelt. Den Schauspielern gelingt es jedoch weitgehend, dies auszubalancieren und gegen den mächtigen, eloquenten Erzähler
Bernd Braun zu bestehen. Vor allem die Männer brillieren, allen voran Alois Reinhardt, der als Gorge Mastromas vom moralisch integeren und dafür immer wieder vom Schicksal getretenen Mitläufer
dank einer einmalig auftretenden Manipulatorin (Johanna Falckner ohne echte Überzeugungskraft) zum gewissenlosen Machtmenschen mutiert, selbst für die Liebe lügt und, weil es ihm opportun
erscheint, kurzerhand seine eigene Familie in den Dreck zieht, seinen verstorbenen Vater des Missbrauchs bezichtigt und das ihm entgegengebrachte Mitleid rücksichtslos für seine Zwecke einsetzt.
Dabei changiert er zwischen schleimigem Proll und zerbrochener Hülle – und passenderweise ist die ehrlichere dieser beiden Formen die unsympathischere. Als er sich, um die junge Louisa (Maya
Haddad) für sich zu gewinnen, als seelisches Wrack darstellt, erinnert er dagegen an den jungen Johnny Cash im Film „Walk the Line“, damals von Joaquin Phoenix grandios gespielt. Selbstbewusst
und selbstzerstörerisch, erfolgreich und doch allein.
Doch trotz aller Lügen, Betrügereien, moralischer Vergehen und ökonomischer Tricksereien bleibt Gorge Mastromas unangetastet. Er ist unverwundbar und letztlich zu mächtig, um ihm irgendetwas
nachzuweisen. „Ich mache diese Scheiß-Welt“, schreit er seinem plötzlich auftauchenden Bruder Sol (großartig: Sören Wunderlich) entgegen, einem Alkoholiker ohne festen Wohnsitz, von der Tochter
gehasst, von der Welt verabscheut, die Kehrseite Gorges, den er nun bloßzustellen will, dessen wahre Kindheitsgeschichte er zu erzählen sucht. Doch der kontert. „Man kann mir nicht weh tun“, sagt
er, kauft die Zeitung, bei der ein zu neugieriger Journalist arbeitet, und tötet kurzerhand seinen Bruder. Die Schlucht (englisch: Gorge) der Dunkelheit verschlingt die Sonne. Kain und Abel 2.0.
Symbolträchtiger geht es kaum.
Erfreulicherweise verzichtet das Ensemble bei „Die Opferung des Gorge Mastromas“ trotz der düsteren Thematik nahezu völlig auf absurde, auflockernde Albernheiten, die in vergangenen Produktionen
dieser Spielzeit des öfteren für Unmut sorgten. Lediglich die überdrehten Kurzauftritte von Wolfgang Rüter und eine an Ebenezer Scrooge erinnernde Greisen-Maske Bernd Brauns, die bereits auf das
Ende des Stückes hindeutet, zielen auf die Lachmuskeln des Publikums. Gut so. Das lässt Zeit für Reflexionen. „Sind Sie schon angewidert?“, fragt Braun irgendwann. Oh ja. Und dabei hat das Stück
zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal richtig begonnen.
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