Ein bisschen Scat geht immer. Ba-da-dap. Worte sind nebensächlich – Dianne Reeves kann auch ohne sie begeistern und die Idee eines Songs vermitteln. Gesungenes Gefühl, das in jeder Sprache verstanden wird. Damit hat die große Jazz-Diva, die normalerweise ohne weiteres den Saal einer Oper oder Philharmonie füllt, am vergangenen Donnerstag im Post Tower das Jazzfest Bonn eröffnet. Ein Höhepunkt gleich am Anfang, das erste von insgesamt zehn restlos ausverkauften Doppelkonzerten mit Jazz-Größen wie Wayne Shorter oder Rolf und Joachim Kühn sowie mit Newcomern wie Florian Weber, Laia Genc oder dem derzeit allgegenwärtigen Michael Wollny, die alle bis zum 1. Juni in der Bundesstadt neue Klangwelten aufschließen wollen.
Darauf versteht sich auch Dianne Reeves. Die Sängerin, der Wynton Marsalis einmal „eine der stärksten, entschlossensten und treffendsten Stimmen aller Zeiten“ zusprach, wandelt in dem „etwas
größeren Wohnzimmer“ des Post Towers mit Wonne zwischen den Stilen, lässt sich durch derartige Grenzen nicht im geringsten einengen, setzt etwa zu einem afrikanischen Traditional an und mäandert
mit diesem dann wohlgemut durch Bar-Jazz, Tango und Samba, frei, unverfälscht und mit sichtlicher Begeisterung. „Es macht Spaß, wieder in Bonn zu sein“, sagt sie. Das merkt man. Zumal der Anlass
diesmal angenehmer sein dürfte als bei einem früheren Besuch: Damals, die EU gab es noch nicht, habe man ihr in Utrecht all ihr Gepäck gestohlen, all ihre Dokumente. Also brauchte sie einen neuen
Pass – den sie nach einer abenteuerlichen Fahrt in der US-Botschaft in Bonn erhielt, nachdem sie sich mit einem Platten-Cover ausweisen konnte.
An diesem Abend aber läuft alles wie am Schnürchen. Immer gelassener wird Reeves, lotet ihr mächtiges Organ aus, schnalzt und schmettert, von einer exzellenten Band (Peter Martin, Flügel; Romero
Lubambo, Gitarre; Reginald Veal, Bass; Terreon Gully, Schlagzeug) umarmt, mal Klassiker wie das soulig interpretierte „Stormy Weather“ und dann wieder Reggae-Hits, die sich nach und nach aus
zunächst nur leicht angedeuteten Rhythmen herauskristallisieren und die auf ihrem neuen Album „Beautiful Life“ zu hören sind. „Die Bühne ist unser Spielplatz“, gesteht Reeves denn auch. Und
spielt weiter, auch als sich die Band eine kleine Pause gönnt und sie, nur begleitet von ihrem langjährigen Freund Romero Lubambo an der Gitarre, in Latin-Grooves versinkt, einfach drauf los
improvisiert und auch das begeisterte Publikum kurzerhand mit einbezieht. „Jetzt habe ich eine andere Erinnerung an Bonn“, freut sich Reeves. Und Bonn eine schöne an eine Diva.
Im Vorfeld zu dem umjubelten und mit stehenden Ovationen gefeierten Auftritt der Grande Dame hatte Dominik Wania mit seinem Trio für Aufmerksamkeit gesorgt. Der polnische Pianist, der sich nach
eigenen Angaben stark von Maurice Ravel inspirieren ließ, zelebrierte die Offenheit des Jazz, mal die Harmonien, dann wieder die Rhythmen aufbrechend und innerhalb von Strukturen nach
Unabhängigkeit suchend. Zusammen – zumindest mehr oder weniger – mit Bassist Max Mucha und Drummer Dawid Fortuna ließ er seine Werke beinahe schon organisch wachsen, einen kleinen melodischen
Samen in die Erde legend und darauf wartend, wie sich dieser entfaltet. Auch wenn es schon mal 20 Minuten dauert. Lang. Aber schön. Experimentell auch. Aber genau das ist es ja, was das Jazzfest
Bonn ohnehin ausmacht. Sich von Legenden locken zu lassen und dabei Neues zu entdecken. Besser hätte der Auftakt daher nicht sein können.
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