Fans von Wayne Shorter bilden so etwas wie eine Geheimgesellschaft: Als Außenstehender mag das, was die Jazz-Legende (musikalischer Direktor bei Art Blakeys Jazz Messengers, langjähriges Mitglied von Miles Davis' zweitem Quintett und Gründungsmitglied von Weather Report) mit seinem Quartett auf der Bühne des Telekom-Forums zum Abschluss des diesjährigen Jazzfests Bonn anstellt, ein wildes, planloses Aneinandervorbeispielen sein, ein Konglomerat dissonanter Töne, entstehend aus einem Wettstreit von vier Meister-Instrumentalisten auf der Suche nach dem schrägsten Klang. Doch für Eingeweihte sind die komplexen Kompositionen, die so sehr nach Free Jazz klingen und doch einer klaren Struktur folgen, eine Offenbarung. „Tu, was du willst“, lautet Shorters Motto – aber eben nur in Interaktion mit anderen. Völlige Freiheit durch Gemeinschaft: Eigentlich ein Paradoxon, das das Quartett aber ohne Probleme auflöst.
Die vier verstehen einander, so viel ist sicher. Selbst in jenen Momenten, in denen sie nicht weiter voneinander entfernt sein könnten, wenn der unbändige Brian Blade am Schlagzeug breit grinsend
Gas gibt, Bassist John Pattitucci (dreifacher Grammy-Gewinner und ehemaliges Bandmitglied von Chick Corea) mit Wonne dagegenhält, Pianist Danilo Pérez in die Tasten haut und über allem Wayne
Shorter thront, der mit seinem Saxophon keift, bellt, jauchzt, trillert und jubiliert, dabei in unglaubliche Höhen vordringend, ohne eine Miene zu verziehen – ja selbst da ist das Konzert ein
Mit- und nicht ein Nebeneinander. Ein musikalisches Gespräch, für dessen Verständnis vielleicht bei dem ein oder anderen Zuhörer die notwendige Grammatik fehlt, das aber doch wenig mit Wahn,
dafür viel mit Sinn zu tun hat. Und mit dem Reiz des Entdeckens und Erkennens, den Shorter seit vielen Jahren ganz ohne den Einsatz von Elektronika zelebriert. Insofern wirkt die Zuordnung dieses
speziellen Konzerts, das in Kooperation mit der Telekom-Reihe „Electronic Beats“ stattfindet, etwas irritierend. Ein Widerspruch, der Wayne Shorter wohl nur ein leises Lächeln entlocken dürfte.
Und dem Publikum weitgehend egal ist, das den Altmeister mit stehenden Ovationen feiert.
Ohnehin war der elektronischen Komponente schon in der ersten Konzerthälfte gewürdigt worden. Der ehemalige Radio Boy Matthew Herbert war mit seiner Big Band und Sängerin Alice Grant nach Bonn
gekommen, um seine ganz besondere Mischung aus Geräusch-Performance und opulentem Jazz zu präsentieren. Allein: Ersteres war mehr Störung als Genuss. Denn die immer wieder eingespielten
Noise-Samples, die Synthi-Passagen und Verzerrungen hingen belanglos in der Luft, hatten im Gegensatz zu den beinahe filmmusikalischen Bigband-Arrangements keine Relevanz, waren vernachlässigbar
und banal. Eine unnötige Aufpfropfung auf an sich bemerkenswerte Kompositionen, die oft an die bombastischen James-Bond-Songs Shirley Basseys erinnerten und die immerhin durch manche Aktionen
darstellerisch reizvoll gebrochen wurden. So zerriss die Band kollektiv Hochglanz-Magazine, dann wieder stand Alice Grant mit einem Sack über dem Kopf vor dem von Inquisitor Herbert geführten
Musik-Tribunal. Eine klare Aussage fehlte aber selbst hier – und so verwunderte es nicht, dass sich ein beträchtlicher Teil des Publikums nach und nach auf den Weg nach draußen machte und dort
auf Wayne Shorter wartete. Der war zwar ebenfalls kryptisch. Das aber zumindest konsequent.
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