Driss, überall Driss. Norbert Alich ist entsetzt. Der schöne Rhein, der Mülleimer der Nation, missbraucht und geschändet durch Preußen, Schwaben und Westfalen, zubetoniert mit unansehnlichen Kaiserstatuen, neu aufgebauten Burgen und einem fertig gestellten Dom. „Warum?“, fragt Alich klagend – 700 Jahre ist doch alles gut gegangen. Und dann kommen irgendwelche Ordnungsfanatiker aus Berlin und beenden die Bautätigkeit. Klingt heutzutage paradox, war aber im 19. Jahrhundert bittere Realität. Ein weiteres Geschichtskapitel, über das Alich im Pantheon Casino bei der Premiere seines neuen gleichnamigen Programms „Der Rhein – die arme Sau“ schreibt. Und zum Ausgleich erst mal ein Liedchen trällert.
Denn eigentlich ist der historische Abriss, den der zweite Ober-Pantheonike (neben Rainer Pause) über seinen geliebten Fluss gibt, nur ein Vorwand zum Singen. Mit seiner versierten
Operettenstimme schmettert er, unterstützt von Pianist Stephan Ohm, genussvoll einen Rhein-Klassiker nach dem nächsten, bindet dafür aber auch gerne das Publikum ein. Und zwar richtig: „Ihr seid
vielleicht in der Schule verdorben worden unds durftet nicht singen. Das wird sich heute ändern“, verspricht er. Und schreitet zur Tat. Flugs ein paar Kopien verteilen und los geht’s mit
sämtlichen Strophen des Lorelei-Lieds oder „warum ist es am Rhein so schön“. Alich gibt dabei den Dirigenten, der auch eine gewisse Dynamik einfordert, zwischen zartem Flüstern und übermäßigem
Pathos changieren will und in den Besuchern des Pantheon-Casinos einen willigen Chor findet. Woraufhin der 59-Jährige nachlegt und kurzerhand das Liedduell zwischen den deutschen Soldaten und der
Résistance in „Casablanca“ initiiert. Herrlich.
Dem leidenschaftlichen Gesang stehen nicht minder emotional aufgeladene Text-Diskurse gegenüber, die allerdings im Gegensatz zu ersteren durchaus Schwächen aufweisen. Mal ist Alich
argumentatorisch etwas fahrig und lässt Stringenz vermissen, dann wieder lehnt er sich mit seinem Regionalstolz etwas weit aus dem Fenster. Gut, zu einem echten Rheinländer gehört ein gewisser
Zorn auf die Westfalen und Preußen dazu, während die napoleonische Besatzung immerhin guten Wein, gutes Essen und Fisimatentchen brachten (wobei letzteres etymologisch gesehen ein Mythos ist).
Alich drischt aber mit einer Vehemenz auf die traditionellen Feindbilder ein, dass schon mal die eine oder andere Augenbraue zuckt. Jeder, der nicht aus der Region stammt, sollte seiner Meinung
nach schweigen: Das betrifft auch Leute wie Konrad Beikircher oder Kardinal Meissner. Diese leichten Anklänge eines Hermann Schwaderlappen ignoriert man am besten. Und singt stattdessen. Nur
schade, dass nicht jedes Lied für alle offen ist – ausgerechnet „La mer“ und „Moon River“, jene beiden moderneren Titel, die nur entfernt mit der sonst so gerne beschworenen Rheinromantik zu tun
haben, lässt sich Alich nicht nehmen. Irgendwie verständlich. Aber da wäre eine weitere Chorstunde trotzdem schön gewesen.
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