„Der Regen ist ein Segen“, ruft Iba Mahr am zweiten Tag des Summerjam in Richtung der tropfenden Menge. Er hat leicht reden, die Bühne ist schließlich überdacht. Dennoch nehmen viele der angereisten Fans den Rat offensichtlich an. Denn selbst als es an diesem Samstag wie aus Eimern gießt, Sand und Erde sich in eine braune Brühe verwandeln und das Public Viewing (auch ein Festival wie der Summerjam kommt nicht ohne Fußball aus) in ein Zelt verlegt werden muss, springen, wippen, klatschen und feiern Hunderte zu fetten Beats und heißen Rhythmen, zu Roots, Dub, Rap und Reggae. Nasse Rastas fliegen besser. Und wer weiß, vielleicht hat der Sonnentanz ja tatsächlich geholfen. Wenn auch mit etwas Verspätung...
Musikalisch zeigte sich der Summerjam, eines der größten Reggae-Festivals in Europa, nach einem teilweise etwas flauem Start am Freitag auf hohem Niveau. Während zunächst DJs wie Kid Simius mit
seinen massiven Affenbeats oder der sich schamlos in der Rock- und Pop-Geschichte bedienende Left Boy den Sound am Fühlinger See deutlich mitbestimmten und exzellente Künstler wie den
charismatischen Naaman (der trotz des parallel für seine französische Heimat schmerzhaften Fußballspiels für eine Super-Stimmung sorgte) oder den überragenden Christopher Martin, am Freitag einer
der besten Acts, zumindest akustisch etwas an die Wand drückten, eroberten sich Roots und Dub im weiteren Verlauf mehr und mehr Bühnenzeit zurück. Selbst die wirklich starken Rap-Künste von
Marteria, der am Freitag auf der Red Stage mit einem umjubelten Konzert samt Einbeziehung seines Alter Egos Marsimoto im silbergrünen Ganzkörper-Kondom und der zuvor aufgetretenen Miss Platnum –
Kunstfigur trifft Kunstfigur – für einen würdigen Abschluss und ein schönes Kontrastprogramm zur gleichzeitig auftretenden Soul-Diva Tanja Stephens sorgte, waren am verregneten Samstag weitgehend
vergessen.
Tatsächlich startete das Festival jetzt erst so richtig durch. Newcomer und Hoffnungsträger wie Kabaka Pyramid, Jah9 oder Konshens standen im Line-Up neben Größen wie Seeed (fordern noch nach
Mitternacht die müde Menge auf, ihren Speck zu schütteln) oder der hochpolitische Veteran Anthony B (singt kurzerhand „Imagine there's no Facebook“ – eben ein echter Träumer), junge
Revival-Formationen (Raging Fyah) oder Soul, Hip Hop und Reggae verschmelzende Talente (Nneka) waren ebenso mit dabei wie Musik-Pionier Jimmy Cliff, der mit seinen Songs am weltweiten Durchbruch
des Reggae einen nicht unerheblichen Anteil hatte und von Bob Dylan oder Bruce Springsteen sehr geschätzt wird. Die Mischung macht's eben. Vor allem Dub mit seinen flexiblen Instrumentalspuren
ist wieder auf dem Vormarsch, wie unter anderem die Dubtronic Kru in einem Interview am Rande des Festivals bekräftigte: „Wir bemerken vor allem in Jamaika ein zunehmendes Interesse am Dub. Musik
verläuft ja in der Regel in Wellenbewegungen, und dieser Stil ist jetzt eben wieder auf dem Vormarsch.“
Zentrales Element der beim Summerjam gespielten Musik war jedoch auch das kreative Vermischen von Stilen. Großartig etwa Meta and the Cornerstones, die Einflüsse aus der Karibik, aus Amerika,
Asien und dem Mittleren Osten mit einbezogen, die E-Gitarre kurzerhand wie eine Sitar klingen ließen und dabei eine fantastisch unbeschwerte Leidenschaft auf die Bühne brachten. Nicht minder
erwähnenswert, wenn auch vollkommen anders Irie Révoltés: Vorwärts drängender, energiegeladener Rap mit Ska-mäßigen Bläsersätzen, wirbelnden Handtüchern und einer nicht zu ignorierenden
Punk-Attitüde sorgten dafür, dass die samstäglichen Pfützen kurzerhand für ein paar Wasserschlachten genutzt wurden. „Travailler, travailler, travailler“, schallte es derweil auf französisch von
der Bühne. Ein Schlachtruf, den das Publikum zwar aufnahm, aber bewusst ignorierte. Arbeiten? Nein danke. Feiern war angesagt. Party marsch. Bier und was zu rauchen, dann noch ein gedanklicher
Stinkefinger in Richtung Himmel. So funktioniert der Summerjam.
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