Die erste bedrohlich wirkende Gewitterfront, die mit ihrer Ufo-Form ein wenig an „Independence Day“ erinnert, kommt heran, wirbelt Wind und Wolken auf und bleibt doch letztlich folgenlos. Göttliche Intervention oder vielleicht einfach nur Glück für die gut 20.000 Fans, die sich auf den von Fressbuden gesäumten Vorwiesen des Rhein-Energie-Stadions versammelt haben, um Pop-Prediger Xavier Naidoo zu huldigen – immerhin läuft das Konzert gerade einmal eine Viertelstunde, trotz einiger erster Hits wird der bekannteste Sohn Mannheims erst so langsam warm. Das Publikum auch: Nico Suave, der im Vorprogramm ein paar Stücke zum Besten gab, war trotz der Unterstützung von Flo Mega bei seinem Lied „Du bist ein Gedicht“ als Anheizer gescheitert, konnte mit schwachen Texten in schwachem, zum Beat nicht passenden Rap kaum Stimmung aufbauen, musste die für Hip Hop typischen auf und ab wippenden Hände immer wieder mühevoll einfordern und brachte die Menge eben nicht, wie er such eigentlich gewünscht hatte, zum Durchdrehen. Das schafft nur Xavier. Warum auch immer.
Der 42-Jährige mit der warmen Stimme legt gleich mit einigen Hits los, setzt auf den Titeltrack seines aktuellen Albums „Bei meiner Seele“ und bindet dann etwa bei „Bevor du gehst“ sogleich die
Menge ein, die genüsslich mitsingt, sich dem schmalzigen Pathos bedingungslos hingibt und sich in eine inbrünstig Hymnen schmetternde Armee verwandelt. „20.000 Meilen über dem Meer“ auf „Seinen
Straßen“ – immer der gleiche Sermon, immer das gleiche Arrangement. Tatsächlich sind die meisten Stücke, die Xavier Naidoo in Köln präsentiert, musikalisch und textlich austauschbar. Aber egal:
Bejubelt wird jedes einzelne, mitgesungen ohnehin. Vielleicht vertreibt auch das die Wolken. „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir zusammen“, posaunt es ihnen aus Tausenden Kehlen
entgegen. Eine Kampfansage an den Regen, der laut dem Mann mit der Schiebermütze einfach nach Düsseldorf ziehen soll. Nach den Pfingstunwettern unangebracht.
Der Goldesel des deutschen Soul-Pop hat seine Herde dennoch fest im Griff, weiß genau, mit welchem Lied er wann welche Reaktion erzielen kann. Im Zweifelsfall vertraut er auf Ohrwürmer wie dem an
die Fußball-WM 2006 erinnernden „Dieser Weg“ oder dem wunderschönen „Sie Sieht mich einfach nicht“, auch auf das mit Latin-Rhythmus und Santana-Anleihen im Gitarrenspiel versehene „Zeilen aus
Gold“, das dann unversehens ein paar Dancefloor-Passagen verpasst kriegt, während Naidoo gleich zwei Mikros zum Mund führt. Da fallen einige andere Stücke mit abstrusen oder kryptischen Zeilen
gar nicht mehr auf. „Im Auto fühle ich mich verbunden mit anderen Menschen / Ich nenne uns gerne die In-Car-Nation“ singt er in „Autonarr“ – spätestens da hätten die Gewitterwolken zurückkommen
müssen. Stattdessen stellt der Xer mit Auszügen aus seinem Nebenprojekt in Wannabe-Dubstep-Manier kurz darauf seltsame Forderungen, braucht einen Doktor, einen Helikopter, 10.000 Feen und ein
Herz aus goldenen Kerzen. Noch schlimmer „Share the Dancefloor“ und „Tanzort“, bei denen der gerade für seine Stimme so geschätzte Sänger diese massiv verzerrt. Jetzt reicht es. Genug ist genug.
Strafe muss sein. Kurz vor Ende des Konzerts, mitten im ruhigen Teil wird es nass. Richtig nass. Und dabei haben die Fans noch Glück, in der Innenstadt waren schon früher Wolkenbrüche
herniedergegangen, haben Blitzeinschläge den Bahnverkehr gelähmt. Xavier Naidoo zieht bleibt unbeeindruckt, zieht sein Programm durch. „Ich kenne nichts, was so schön ist wie du“, ruft er ins
Publikum – und dieses erwidert das Kompliment. Pathos zieht eben immer. Auch wenn sich dahinter nur Worthülsen verstecken.
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