Vorhang auf, Manege frei: Die Gaukler kommen. Schausteller wie vor hundert Jahren, Akrobaten, Artisten, Illusionisten, die selbst aus dem zerlumptesten Zirkus eine Zauberwelt machen konnten und können. Nun tummeln sich diese Gestalten im Bonner Pantheon, wo noch bis zum 23. August der neueste Streich des alljährlichen Varietéspektakels zu sehen ist. Eine Show, die dank vielseitiger Künstler und einer insgesamt runden Dramaturgie bei der Premiere für Begeisterungsstürme gesorgt hat.
Organisator Stephan Masur hat für die aktuelle Ausgabe wieder einmal exquisite junge Artisten um sich geschart, die teils über den Köpfen der Zuschauer, teils aber auch mitten unter ihnen ihre
Nummern präsentieren. So schraubt sich Matho an seinem Vertikaltuch bis an die Saaldecke, während Tom Birringer sein Bedürfnis nach einer ruhigen Abendzeitung auf einem Trapez befriedigt und
dabei in bester Slapstick-Manier mit manchen Widrigkeiten zu kämpfen hat. Jongleur Eugenius Nil bleibt dagegen auf dem Boden, wo der Träumer und Nerd unter Mithilfe einer cleveren, wenn auch
widerspenstigen Trickkiste ebenso zu überzeugen vermag.
Den Ton der Show geben aber die Frauen an. Schon vor Beginn schnattert Katerina Repponen in unverständlichem Finnisch mit dem Publikum, scheucht hinterher ihre Co-Artisten über die Bühne und
fordert von Stephan Masur einen Mann. Und zwar einen richtigen. Den sie sich dann selber aussuchen darf, auch wenn sie zunächst im Saal nicht so wirklich findig wird. Immerhin gelingt es der
Diva, die schließlich in Pasi Nousiainen den perfekten Partner für ihre Handstand-Kunststücke gefunden hat, selbst eine Ablehnung so charmant zu gestalten, dass dieses so gefürchtete
Mitmach-Element nicht in Peinlichkeiten ausartet.
Star der Gaukler ist jedoch ohne Zweifel eine andere: Die wandlungsfähige, vielseitige, bezaubernde Silea. Ob als bauchrednernde Raubtier-Dompteuse, die eine Stoffkatze zu dem „Todessprung durch
die große 'öllenring“ animieren möchte, als Rasierklingen schluckende und Blut spukende Wahnsinnige oder als meisterhafte Seiltänzerin, die auch gerne mal in einen Spagat geht – die kecke
Blondine mit dem französischen Akzent wird frenetisch bejubelt, wann immer sie auf der Bühne erscheint. Zu recht.
Die Gaukler beweisen eindrucksvoll, dass es nicht auf große Aufbauten, spektakuläre Technik und immer neue Superlative ankommt. Wenn die Präsentation und die Leidenschaft stimmen, ist alles
andere zweitrangig. So wie bei Silea. Oder auch bei Stephan Masur, der mit seinen Seifenblasen-Skulpturen ein weiteres Highlight setzt und mit seinen Barockbolas im Duell mit dem Stepptänzer (und
späteren Luftring-Akrobaten) Daniel Sullivan ebenfalls eine gute Figur macht. Der Ansatz stimmt. Nicht viel reden, einfach wirken lassen. Zuschauen und Staunen. Willkommen im Herzen des Zirkus.
Genau diese Stimmung schafft die Truppe, die erfreulicherweise auch weitgehend in der geschaffenen Bühnenwelt – und zeit behaftet bleibt. Lediglich der Limbotanz von Santos, so unglaublich er mit
Klingen- und Feuer-Zusatz sowie einer Stange auf Weinflaschen-Höhe auch ist, wirkt ein bisschen fehl am Platz, ein wenig zu ekstatisch, zu modern für die 1920er. Dennoch sehenswert, so wie die
ganze Show, die beim Publikum hervorragend ankommt. Der tosende Applaus bei der Premiere spricht auf jeden Fall für sich.
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