Vielfalt macht Eindruck: 150 Jahre umspannte das Programm, dass das Baltic Sea Youth Philharmonic (BSYP) unter der Leitung von Kristjan Järvi am vergangenen Freitag im Rahmen des Beethovenfests präsentierte, fünf der an die Ostsee angrenzenden Länder waren vertreten und ebenso viele musikalische Formen. Ein eindrucksvolles Statement eines jungen Orchesters, das sich als neue Stimme des Nordens versteht und dessen Instrumentalisten jedes Jahr neu ausgewählt werden. Dabei setzten zwei Einzelpersonen in der Beethovenhalle starke Akzente: Pianist Jan Lisiecki, der in Edvard Griegs Klavierkonzert in a-Moll mit meisterhafter Brillanz überzeugte, und Kristjan Järvi, sowohl optisch als auch kinetisch der John Travolta des Dirigentenpults, der seine Zöglinge leidenschaftlich zu immer neuen Höhenflügen motivierte.
So sehr letzterer aber auch tänzelte, hüpfte und fuchtelte, um dem BSYP die nötigen Impulse zu geben, war es doch zumindest in der ersten Konzerthälfte tatsächlich der 19-jährige Lisiecki, der
den größten Eindruck hinterließ. Unglaublich intensiv, dynamisch und virtuos jagte der Kanadier polnischer Herkunft über die Tasten, im ersten Satz ein Tiger am Flügel, im zweiten dann eher ein
sich räkelndes Kätzchen, das genüsslich dem Adagio die sensiblen Töne entlockte. Im Finalsatz dann der Dialog zwischen Klavier und Orchester, bei dem ersteres deutlich als Wortführer erkennbar
war – für ein Gespräch ganz auf Augenhöhe reichte es dann doch nicht, auch wenn das BSYP vor allem in den ruhigeren Passagen zu punkten wusste. Jubel gab es für alle Beteiligten, vor allem aber
für den fantastischen Lisiecki, der sich mit einer kleinen Zugabe bedankte.
Das BSYP setzte derweil an anderen Stellen sein Können unter Beweis. Blieb Mussorgskis symphonische Dichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ als mutiges Eröffnungsstück trotz einer erfreulichen
Kantigkeit noch etwas hinter den Möglichkeiten des Orchesters zurück, setzte es bei der Karelia-Suite von Jean Sibelius einen beeindruckenden Punkt unter das Ausrufezeichen: Herrlich gefühlvoll
und mit herausragender Dynamik überzeugten die Musiker auf ganzer Linie. Vor allem das Pianopianissimo im Balladensatz war ein Genuss, auch das fast schon enthusiastische Alla marcia wirkte
erfreulich emotionsgeladen.
Zum Ende hin wurde es dann modern: Das minimalistische „Never ignore the Cosmic Ocean“ des litauischen Komponisten Gediminas Gelgotas erzeugte bereits dank dichter Streicher-Arrangements und
einer herausragenden ersten Geige eine beachtliche Sogwirkung, die nur die Sprechpassagen, die das Orchester an einigen Stellen zu bewältigen hatte, geschwächt wurde. Den Höhepunkt der zweiten
Konzerthälfte bildete allerdings der erste Satz aus der Rock-Symphonie des Letten Imants Kalniņš: Die massiven Bläser (vor allem die Tuba durfte endlich einmal glänzen), die eindrucksvollen
Perkussionisten und die Dopplungen in Streichern und Flöten kreierten einen düsteren Grundtenor, der an Ravels „Bolero“ erinnerte, darüber aber immer wieder hinauswuchs. Das Publikum goutierte
dies, ebenso wie den gesamten Abend, mit Jubelrufen und stehenden Ovationen. Das BSYP hat sich das aber auch redlich verdient.
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