Ein Hitchcock-Meisterwerk als banales Hörspiel? Als szenische Lesung? Ganz ohne die starken Filmbilder? Eigentlich unmöglich. Eigentlich. Denn Matthias Brandt, immerhin inzwischen einer der besten Schauspieler Deutschlands, und der Tasten-Zauberer Jens Thomas haben in der Bonner Oper den Gegenbeweis angetreten: „Psycho“ funktioniert auch auf der Bühne. In gewisser Weise sogar besser. Intensiver. Direkter dank des allzeit verlässlichen Kopfkinos. Und dank eines Duos, das den gesamten Opernsaal in seinen Bann zieht.
Jens Thomas zieht zur Erzeugung der Atmosphäre alle Register: Er jault, brabbelt, schreit, schnattert, klopft, kratzt, streichelt und dröhnt, eine Rampensau am Flügel und am Mikrofon, die auch
nicht davor zurückschreckt, förmlich in sein Instrument hineinzukriechen. Dazwischen Gesangseinlagen bei herrlich angejazzten AC/DC-Nummern (unter anderem „Hells Bells“ und „Touch too much“), die
mal als vibrierendes Grummeln, mal als hohes Keifen daherkommen und doch immer auf dem Punkt sind. Wahnsinn im wahrsten Sinne des Wortes. Und doch ist es nicht der schillernde Tasten-Hendrix, der
die Aufmerksamkeit des Publikums bündelt, sondern der ruhig dasitzende Matthias Brandt, dessen suggestive Meisterstimme das Innenleben von Norman Bates offenlegt, es seziert und es sich zugleich
zu eigen macht, tief eintaucht in die Psycho-Psyche. Die Romanvorlage von Robert Bloch ist allein auf diese Figur zusammengestrichen worden, alles andere ist nur Staffage. Der Grund für das
Auftauchen der hübschen Mary in dem abgelegenen Motel, die Untersuchungen von Privatdetektiv Arbogast, die Auflösung durch Marys Freund Sam und ihre Schwester Lila – all das entfällt. Macht
nichts, kann sich Brandt so doch ganz auf die Zerrissenheit von Bates konzentrieren, ihn als schüchternen, harmlosen Mann skizzieren und ihm die herrschsüchtige, eifersüchtige, diabolisch
gackernde Mutter gegenüberstellen. Aufbrausend und zurückhaltend, weinerlich und manipulierend, bösartig und unschuldig spricht er, so geschickt, dass jedem, der die Handlung nicht kennt, die
Wahrheit über den berühmten Duschmord erst gegen Ende offenbart wird.
Doch selbst für jene, die – Vorsicht, Spoiler! – von Bates Problem wissen (was die Mehrheit der Besucher umfassen dürfte), die Hintergründe des Wahnsinns kennen und sich so gegen Überraschungen
gefeit wähnen, ist die „Fantasie über das kalte Entsetzen“ ein Erlebnis der besonderen Art. Vor allem die Szene, die der Messerattacke unter der Dusche unmittelbar vorausgeht und die aus der
Sicht von Bates beschrieben wird, fasziniert: Fast hat man Mitleid mit dem armen Kerl, der sich nach der Berührung einer Frau sehnt und sich dabei letztlich selbst (und ziemlich brutal) im Weg
steht. Die daran anschließende Totenstille dehnt sich quälend in eine gefühlte Ewigkeit, bevor ein explosiver Urschrei, die komprimierte Wut Bates, das Publikum aufschreckt und es doch nur noch
tiefer in die Geschichte hineinzieht. Bis Brandt und Thomas nach knapp 90 Minuten purer Spannung, aufregend und fesselnd zugleich, die begeisterte Menge schließlich aus dem Saal entlässt. Selbst
Alfred Hitchcock hätte an diesem Abend wahrscheinlich seine Freude gehabt. Und besser lässt sich eine Lesung schließlich kaum gestalten.
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