Neue Musik ist immer etwas Besonderes. Schwer verdaulich, schräg, irritierend, fehlen doch die sonst gewohnten Strukturen, die klaren Harmonien oder Rhythmen, die ein Stück in der Regel tragen. In der Bundeskunsthalle war dies am vergangenen Sonntag nicht anders: Das Studio Musikfabrik, das im Rahmen des Beethovenfests Werke vier zeitgenössischer Komponisten präsentierte und inszenierte (im Falle von Philipp Maintz stand sogar eine Uraufführung auf dem Programm), begab sich in das Reich von Minimal-, Ritual- und performativer Musik, wo selbst Geräusche ihren Platz haben. „Auch sie bewirken etwas im Raum“, erklärte Schlagzeuger Dirk Rothbrust, der als einer von mehreren Profis mit den durchweg jungen Studenten und Schülern der Musikfabrik die Stücke erarbeitet hatte.
Die Kompositionen des Abends zeugten immerhin von der großen Vielfalt, die der mittlerweile sehr schwammige Begriff „Neue Musik“ abdeckt. Harrison Birtwistles „Ritual Fragment“, dem 1989
verstorbenen künstlerischen Leiter der London Sinfonietta, Michael Vyner, gewidmet, ist eine Totenhymne mit Solo-Partien für alle beweglichen Instrumente (ausgenommen sind Cello, Kontrabass,
Trommel und Klavier). Jeder Solist trat an die Stelle des Dirigenten, spielte eine Klage und wartete auf seinen Nachfolger, mit diesem kurz kommunizierend und dann auf dessen Stuhl Platz nehmend.
Das Ensemble kommentierte derweil, nicht als Einheit, sondern als lamentierende Menge von Einzelpersonen – letztlich, so schien es, ist in der Trauer jeder allein.
Nicht minder irritierend, zugleich aber völlig anders zeigte sich Jo Kondos „Under the Umbrella“ für 25 Kuhglocken, das die Musikfabrik in zwei Hälften geteilt hatte. Ausgerechnet diese
Instrumente, deren Verwendung an ein indonesisches Gamelan-Orchester erinnert, durften in den zuerst gespielten Sätzen 1 und 3 nicht klingen, wurden mit der Hand gestoppt, somit letztlich nicht
mehr als ein Haufen Blech – und da der dies korrigierende zweite Satz ausgekoppelt wurde, blieb das Stück trotz seiner rhythmischen Komplexität hinter seinen Möglichkeiten zurück.
In der Premiere des Abends, dem auf dem Klaviertrio „tourbillon“ basierenden „sur tourbillon“ von Philipp Maintz, zeigte sich eine weitere Facette der Neuen Musik. Klavier, Geige, Cello und
Bassklarinette standen dem restlichen Ensemble gegenüber, das Kernstück erhielt eine mal unterstützende, mal konterkarierende Korona. Die Spannung, die dabei in der Bundeskunsthalle aufgebaut
wurde, war durchaus beeindruckend: Der unterschwellige Klang der Begleit-Formation, darüber das flirrende Quartett, das aber leider keine klaren Linien spielte, sondern eher Versatzstücke mit
abgehackten Schlusspunkten aneinanderfügte. Der „Drive“, den der im Publikum sitzende Maintz seinem ursprünglichen Triostück zusprach? Nicht erkennbar.
Zum Finale dann eine Performance, die wie der gesamte Abend mehr Fragen aufwarf als klärte. Gerhard Stäblers „Fund.Stücke“ spielte im und mit dem Publikum, terrorisierte dieses durch fies
fiepende Blockflötenköpfen, schränkte es mit Absperrband ein, beruhigte es aber zugleich mit Champagner, Big Macs und Oliven. Konsum als Opium für das Volk. Dass es hier um den Kontrast zwischen
amerikanischer Kommerzkultur und Traditionen aus dem Nahen Osten gehen soll, wurde allerdings erst ansatzweise deutlich, als ein Chor arabische und israelische Namen in den Raum rief. Ein
Aufschrei um Aufmerksamkeit, der durch das zuvor verteilte Essen verhallte. Eine spannende Idee – doch Gesellschaftskritik, die nicht direkt begreifbar wird, entpuppt sich in der Regel als
wirkungslos. Und ein fehlendes Verständnis ist, das hat der Abend in der Bundeskunsthalle einmal mehr bewiesen, leider ein Hauptmerkmal vieler enigmatischer Kompositionen der Neuen Musik.
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