rehen. Immer weiterdrehen. 20 Minuten lang um die eigene Achse. Es ist kein Tanz, sondern eine Art von Gebet, ein Weg, um innere Klarheit zu erlangen, für den die Mevlevi-Derwische berühmt sind. Am vergangenen Donnerstag wirbelten unter dem Titel „Passio – Compassio“ fünf von ihnen nun auf der Bühne der Beethovenhalle auf der Stelle – und zwar sowohl zu orientalischer Musik aus der sufischen Tradition als auch zu Auszügen aus Johann Sebastian Bachs Johannes- und Matthäuspassion. Orient traf Okzident, christliche Barockmusik auf türkische und syrisch-orthodoxe Gesänge, vom Ensemble Sarband unter ihrem Leiter Vladimir Ivanoff (und mit Unterstützung des Modern String Quartets) ineinander verwoben und vereinheitlicht. Ein bemerkenswertes Experiment, das auch weitgehend glückte. So lange die Musiker nicht versuchten, modern zu klingen.
Der Schlüssel zu einer gelungenen Melange war der Verfremdungseffekt: Die meisten Bach-Passagen wurden ins Arabische oder Türkische übersetzt, sowohl textlich als auch häufig musikalisch.
Andererseits erhielten die frühchristlichen orientalischen Gesänge ein Barockgewand, fügten sich Nay (eine Rohrflöte), Kemence (türkische Spießgeige) und Qanun (eine Art Zither) in westliche
Kompositionstechniken ein. Dazu die Stimmen der wandlungsfähigen, exzellenten Fadia el-Hage und des vor allem für die Litaneien zuständigen Mustafa Doğan Dikmen, die die Verbindung auf ihre Weise
stützten. Das Ergebnis schwebte zwischen den verschiedenen Traditionen, bildete eine Brücke zwischen West und Ost, löste die Grenzen zwischen Religionen und Ästhethiken kurzerhand auf.
Wunderschön etwa das eindringliche byzantinisch-arabische „Aljaum“ mit seinem schwebenden Grundklang, einer eleganten Solo-Geige und einem starken Gesang, der dann nahtlos in „Von den Stricken
meiner Sünden“ überging. So hätte das Konzert schon bleiben können. Allerdings versuchte das Ensemble Sarband, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Freiheit des Jazz ebenfalls zu
implementieren – ein Ansatz, bei dem es immer wieder aufs Neue scheiterte. Schräge Saxophone zerstörten gnadenlos die gefundene Harmonie, bemühte Improvisationen stauten den faszinierenden Fluss
der Liturgie.
Möglicherweise hat auch die schon vielfach als schwierig beschriebene Akustik der Beethovenhalle ihren Anteil an dem Dilemma: Während sie bei klassisch homophonem, aber zumindest rhythmisch
einheitlichem Spiel die Klänge noch einigermaßen zur Geltung kommen ließ und lediglich durch eine starke Eindimensionalität enttäuschte, bildete sich bei den jazzigen Passagen eine Art Klangbrei,
der dem Grundkonzept des Konzerts diametral gegenüberzustehen schien. Destruktion statt Union. Schade.
Immerhin bildeten diese Stellen Ausnahmen in dem gut zweistündigen Konzert – und die Auftritte der Derwische die Höhepunkte. In schwarze Mäntel gehüllt schritten sie auf die Bühne, darunter in
blendendes Weiß gekleidet, sich dann ekstatisch, aber ohne Hast drehend, während die Musiker sich aus den zu dem Ritual gehörenden Sufi-Liedern (meisterhaft der majestätische „Vierte Gruß“)
langsam lösten und irgendwann wieder bei Bach landeten. Da funktionierte der so dringend benötigte Brückenschlag. Verständnis und Achtsamkeit dank der Universalsprache Musik. So mancher könnte
davon noch etwas lernen.
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