Es ist der Versuch, mit Opulenz zu überzeugen: Das Norwegian Arctic Philharmonic Orchestra (NAPO), der nördlichste Klangkörper der Welt, hat in der nur zu einem Drittel gefüllten Beethovenhalle auf musikalische Wucht gesetzt, auf romantischen Pathos und auf eine sprechende, bildhafte Tonsprache. An sich ein reizvoller Ansatz. Zumindest so lange die Musik etwas zu sagen hat. Doch ausgerechnet das Werk des NAPO-Dirigenten und Posaunisten Christian Lindberg, eine musikalische Erzählung namens „Kundraan and the Arctic Light“, gerät zu einem Hort der Peinlichkeit, einem Antiklimax kompositorischen Schaffens auf Basis einer Geschichte, gegen die die gesammelten John-Sinclair-Romane wie das Œuvre eines Literaturnobelpreisträgers wirken.
Dabei kann man dem Orchester nicht den geringsten Vorwurf machen: Es spielt sauber, präzise und weitgehend eigenständig, da Lindberg als Leiter, Instrumentalist und Sprecher in Personalunion für
ein detailliertes Dirigat einfach keine Zeit hat. Doch was helfen die besten Musiker, wenn der narrative Rahmen schon in den ersten Passagen auseinanderfällt? Wenn der eigentlich auf asiatischen
Mythen basierende Held Kundraan, dem Lindberg seine Stimme und seine meisterlich gespielte Posaune leiht, in einem nicht näher beleuchteten Reich von einem Engel zum nächsten geschickt wird, ohne
Plan, ohne Handlung, nur von dem Wunsch erfüllt, Luzifer zu töten, was textlich sogar noch weniger spannend ausgearbeitet ist als ein Uwe-Boll-Film? Wenn besagte Engel klingen, als hätten sie
Helium eingeatmet, weil die Stimm-Verzerrer, die bei den Aufnahmen offenbar Verwendung fanden, einfach lächerlich wirken? Und wenn das Orchester nichts anderes zu tun hat, als ein Motiv nach dem
nächsten zu spielen, ohne diese aber miteinander verzahnen zu dürfen, ohne Exposition, ohne klare Linienführung, ohne Spannungsbogen?
Immerhin bemüht sich das NAPO abseits dieses Goschenheft-Horrors um Schadensbegrenzung. Die eröffnende symphonische Dichtung „Aasgaardsreien“ des Norwegers Ole Olsen, die ganz ohne Text eine
weitaus klarere Sprache pflegt als Lindbergs Kundraan-Komposition und in Klangbildern die Wilde Jagd in die Luft entlässt, kommt erfreulich vielseitig daher, verwebt kurze pastorale Momente mit
wildem Wüsten, in dem vor allem die Streicher im Akkord schuften und zugleich gegen ungestüme, mächtige Bläser zu kämpfen haben. Die Anleihen bei Wagners „Walkürenritt“ sind unüberhörbar, aber
auch Parallelen zu Edvard Griegs zeitgleich erschienener Peer-Gynt-Suite (1876). Ebenfalls in diesem Jahr begann Peter Tschaikowski mit der Arbeit an seiner vierten, der so genannten
Schicksalssymphonie, die den Abend beschließt. Auch sie wieder pompös, wuchtig, ausladend, dem wunderbar dynamischen Orchester sehr entgegenkommend. Abgesehen von den lyrischen Passagen im
Andantino des zweiten Satzes, in denen das NAPO elegant die romantische Stimmung auskostet, setzt Dirigent Lindberg hier auf musikalische Macht, die aber hervorragend zur Geltung kommt. So kommt
es letztlich doch noch zu einem Hauch von Versöhnung nach dem enttäuschenden Mittelteil. Von dem Orchester würde man gerne mehr hören. Von Kundraan dagegen nicht.
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