Wenn man die Augen schließt, ist kein Unterschied mehr festzustellen: Ist es wirklich Dominique Horwitz, der da gerade den Text von „Je suis un soir d'été“ herauspresst, oder ist es doch der wiederauferstandene Jacques Brel? Gut, letzterer mag das Lied vielleicht noch etwas wärmer und weicher dargeboten haben, mag etwas größere Bögen geschlagen und als Autor der Zeilen noch ein Stück gefühlvoller gesungen haben – aber das sind Marginalien. Für nahezu alle Besucher der Bonner Oper, in der Horwitz zum letzten Mal seinen Chanson-Abend präsentiert, ist der deutsch-französische Schauspieler die Reinkarnation des belgischen Chansonniers. Was sowohl Stärke als auch Schwäche des Programms ist.
Wie einst Brel gibt Horwitz Vollgas, springt, zappelt und grimassiert wie ein Wahnsinniger, dabei das R noch weitaus eindrucksvoller rollend als Till Lindemann und sich beinahe ekstatisch in die
Lieder hineinsteigernd. Er ist pathetisch, frivol, salopp, larmoyant, wütend, einfühlsam, expressiv. Einfach perfekt. Zu perfekt. Denn Horwitz selbst bleibt dabei auf der Strecke. Der
Schauspieler verschwindet vollständig hinter seiner Maske, wird nicht mehr greifbar. Jede Phrase, jede Moderation, jede Bewegung, jede Blasiertheit ist einstudiert, ist Teil der Rolle. Horwitz
ist somit Imitator, nicht Interpret. Eine Kopie. Eine meisterhafte, keine Frage. Nicht weniger, aber eben letztlich auch nicht mehr.
Daraus kann man Horwitz natürlich keinen Vorwurf machen, sein Konzept ist eben diese Imitation. Allerdings hat dies in der Oper zur Folge, das bei aller Brillanz und bei allem schauspielerischen
Können vor allem in der ersten Konzerthälfte zwar das Hirn, nicht aber die Seele berührt wurde. So spritzig auch Stücke wie das durchdeklinierende „Rosa“ oder das immer schneller werdende „La
Valse à mille temps“ sind, so exzellent die weitgehend minimalistisch agierende Band auch spielt, fehlt doch jener Funke, der die objektive Bewunderung für die Darbietung in reine Freude
verwandelt und aus einem Zirkon einen Diamanten macht. Sowohl die deutschen Anmoderationen als auch die Chansons selbst wirken viel zu oft gekünstelt, im schlimmsten Fall steril. „Wenn wir nichts
als die Liebe hätten, hielten wir die Welt in Händen“, sagt Horwitz einmal. Man nimmt es ihm nicht ab.
Immerhin drehen die Musiker nach und nach auch emotional auf. „Les Marquises“, ein Spätwerk Brels über die polynesischen Inseln, auf denen der Krebskranke seine letzten Jahre verbrachte,
beeindruckt in seiner Intensität ebenso wie das agnostische „Le Bon Dieu“. Dagegen bewusst grotesk überzeichnet das fast schon obszön zu nennende „Le Cheval“, bei dem sich Horwitz selbst zum Gaul
macht. In diesem Kontrast zwischen Intimität und Absurdität wirkt der 57-jährige Sänger auf einmal greifbarer, wahrhaftiger. Mehr als nur Brel. Doch erst ganz am Ende geht er wirklich aus sich
heraus. Nicht etwa bei „Amsterdam“, Brels größtem Erfolg, der natürlich als Zugabe erklingen muss – sondern als er sich von diesem löst und etwas tut, was er nach eigenen Angaben nur dann wagt,
wenn der Abend wirklich großartig war: a capella Charles Aznavours „For me formidable“ anzustimmen. Ein Lied, das Horwitz nicht ganz so perfekt zu imitieren vermag. Es dafür aber umso
authentischer interpretiert.
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