Wahnsinn! Er kann auch röhren! Und so richtig Gas geben. Mit der Mundharmonika im Anschlag wird Konrad Beikircher in seinem Programm „Bayo Bongo“ zum waschechten Vertreter des Rock 'n' Roll, der
Peter Kraus' fetzigem „Kitty Cat“ noch mal zusätzlichen Schwung verleiht. Fehlen nur noch Jeans (ohne Bügelfalte, versteht sich) und Lederjacke. Eine ganz neue Seite des Kabarettisten, der sich
in der Harmonie an seine Kindheit und Jugend in den oft geschmähten 50er Jahren erinnert, jenem Jahrzehnt, das nicht etwa eine verlogene Zeit war sondern die des Aufbruchs. „Die Lüge setzt das
Wissen um die Wahrheit voraus“, sagt Beikircher. In einer Mischung aus Geschichts- und Musikdoppelstunde nimmt er das Publikum mit in die Vergangenheit – eine nostalgische, aber auch sehr
unterhaltsame Reise. Und eine, in der der gebürtige Südtiroler alle Facetten seines Könnens zum Glänzen und Strahlen bringt.
Natürlich steht besagter Rock 'n' Roll erst am Ende einer musikalischen Entwicklung, die auch Tango, Chansons und Schlager umfasst. Also fängt Beikircher eben vorne an, bei dem Schwermut eines
Freddy Quinn („Heimatlos“), beim metaphorisch aufgeladenen „Haus von Rocky Docky“ (dank einer grandiosen Geisterstimme einer der Höhepunkte des Abends) und bei jenen Liedern, die nur so vor
Sehnsucht sprühen: Sehnsucht nach der Leichtigkeit der 20er Jahre, nach orientalischer Exotik, nach romantischer Liebe. Der 69-Jährige erinnert an Caterina Valente („Ganz Paris träumt von der
Liebe“), René Carol („Maria aus Bahia“) oder Edith Einzinger alias Lolita („Seemann“), imitiert nicht, sondern lebt die Lieder und schafft es so, den nicht zu verleugnenden Kitsch so liebevoll zu
präsentieren, dass es ein Genuss ist. Zumal Beikircher seine Lieder und die Zeit, in der sie entstanden sind, ausführlich erklärt, sie einordnet und ihnen damit Gewicht verleiht. Er liebt diese
Geschichten und Anekdoten, diese Erinnerungen an Medima-Unterwäsche, Heimatfilme, Pater Johannes Leppich und jene Plastiktüten, die man sich zum Schutz gegen die Strahlung der Atombombe über den
Kopf stülpen sollte.
Zusammen mit seinem herausragenden Trio (Geiger und Mandolinenspieler Matthias Raue, Akkordeonist Martin Wagner, Bassist Hanns Höhn) offenbart Beikircher den Charme der 50er, manchmal mit einem
Augenzwinkern – wenn das Pferdehalfter an der Wand besungen wird, geht das nicht anders –, aber immer mit Herzblut. Das Publikum ist ohnehin verzaubert, singt leise mit und fühlt sich in die
eigene Kindheit zurückversetzt. „So habe ich mein erstes Lebensjahrzehnt noch nie erlebt“, sagt ein Besucher nach der Zugabe. Ein schöneres Kompliment kann man sich kaum vorstellen.
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