Irgendwie ist es nicht so ganz fair, in Bezug auf Gemma Ray immer wieder mit dem Begriff „Retro“ zu hantieren, nur weil die Wahl-Berlinerin – wie jetzt am vergangenen Donnerstag in der Harmonie – in ihrem Blümchenkleid und ihren wehmütigen, melancholischen Songs sowohl optisch als auch musikalisch die Einflüsse aus den 60ern offenbart. Dazu noch die ständigen Vergleiche, die die Künstlerin selbst gerne mit einer Mischung aus Überraschung und Irritation kommentiert. „Ich selbst weiß, dass ich einfach nur ich bin und mich nicht bewusst in irgendeinen Schatten stelle“, hat sie dazu einmal gesagt. Ja, sicher.
Dennoch bahnten sich auch bei ihrem leider nur mäßig besuchten Bonner Konzert reflexartig Bilder anderer Musiker ihren Weg in den Kopf: Wenn Nancy Sinatra auf einem mentalen Nick-Cave-Trip
gewesen wäre, es hätte nicht besser klingen können als das, was Gemma Ray da auf die Bühne brachte. Diese scheinbar verletzliche, sehnsuchtsvolle Stimme, die aus teils derart düsteren Gefilden
emporzusteigen schien, dass selbst David Lynch eine Gänsehaut kriegen dürfte, die aber zugleich so wandlungsfähig war, dass sie auch in einigen flotten Americana-Nummern mit massivem
Schamanentrommel-Einsatz das Geschehen beherrschte – ein Ohrenschmaus. Ungewöhnlich, nicht immer greifbar, aber einfach gut. Und letztlich, trotz aller unkontrollierbarer Bemühungen des Gehirns,
unvergleichbar.
Dabei brauchte Gemma Ray noch nicht einmal viel für ihre Klang-Visionen, konnte ohne weiteres auf die opulenten Arrangements aus der Studio-Aufnahme verzichten. Drummer und
Gelegenheits-Keyboarder Andy Zammit sorgte für ein meisterhaftes rhythmisches Fundament und den ein oder anderen Effekt, für den Rest sorgten Gemmas Gitarre und ihre faszinierende Stimme. Den
Bass von Ned Collette, der nur ab und zu mürrisch auf die Bühne stapfte (schon im Vorprogramm hatte der Australier sich viel zu sehr im Selbstmitleid gesuhlt), hätte es gar nicht erst gebraucht.
Ganz im Gegensatz zu dem Schlachtermesser, das in Gemmas Gitarre steckte und das sie ab und zu zückte, um Töne zu zerhacken und ihre Saiten zu bearbeiten. Es waren jene Momente, in denen man sich
unwillkürlich fragte, ob man dieser dunkelhaarigen Frau mit der hypnotischen Ausstrahlung wirklich weiterhin willig in den schattenhaften Kaninchenbau folgen möchte. Die Antwort: Ja. Jedes Mal
ein klares Ja. Irgendwann würde es schon wieder nach oben gehen, würde ein Song wie „The Right Thing Did Me Wrong“ die Dunkelheit wieder ein Stück zurückdrängen und ein wenig Raum zum Aufatmen
lassen. Eine kurze Verschnaufpause, bevor es weiter ging auf dieser mit unerwarteten Wendungen gespickten Reise, an deren Ende ein paar dekonstruierte, skelettierte und umso fantastischere
Versionen von Gemmas Balladen standen. Und die Freude, sich auf dieses Wagnis eingelassen zu haben. Hätten das mal mehr Leute getan.
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