Stillstand? Nicht mit Kalle Pohl. Weiterentwickelt habe er sich schließlich immer, sagt der Komiker bei einer Vorpremiere seines neuenm Programms „Selfi in Delfi“ im Kulturraum Auerberg, habe politisches Kabarett ebenso gemacht wie Stand-Up-Comedy. In allen Bereichen bewandert und mit allen Wassern gewaschen. Alles kein Problem. Hier ein paar Gags über die Tücken der digitalen Sphäre, dort ein Erklärungsversuch zum Verhalten der jüngeren Generationen, dann wieder kleine Spitzen gegen ehemalige und aktuelle Minister oder ein Protestsong gegen die „Titten-Flut“, gegen die ein Mann machtlos ist: Mit einem bunten Strauß aus allerlei Komik versucht der 63-Jährige das Publikum zu überzeugen. Doch beim Testlauf im Gebrauchtwarenkaufhaus hat er vor allem gezeigt, dass er zu viel will – und eigentlich nur einen roten Faden bräuchte.
Letztlich gleicht das Programm einer Achterbahnfahrt mit einigen extrem starken Ansätzen (großartig etwa ein zynisches, bitterböses kleines Stück über angewendete Salami-Taktik bei Politikern mit
der ein oder anderen Leiche im Keller), aber leider auch diversen Tiefpunkten. Ausgerechnet Hein Spack, die Paradefigur Pohls, bleibt hinter den Erwartungen zurück, ist ein HB-Männchen auf
Sparflamme ohne jene explosive Wut im Bauch, die früher aus jeder Pore tropfte. Ja, Spack regt sich auf: Aber ohne Überzeugung, ohne Elan, ohne Wucht. Besonders banal wird es, wenn der Ober-Proll
sich in die kulturelle Entwicklung Pohls einmischt, sein lyrisches in ein albernes Gedicht umschreibt oder von seinen „Schwanensee“-Erfahrungen erzählt. Dann agieren beide fahrig und müde, sind
sowohl rhetorisch als auch emotional die Verlierer.
Dabei würden ein bisschen Struktur und Fokus wahrscheinlich Wunder bewirken. Und Tempo, aber das mag schon automatisch kommen, wenn die Texte auch ohne den gelegentlichen Blick auf das Skript
sitzen und sie Pohl in Fleisch und Blut übergegangen sind. Zumindest dürften dann die einzelnen Nummern noch etwas prägnanter werden, selbst wenn der übergeordnete Rahmen fehlt. Spannungsbögen
erschaffen, schon klappt es auch mit der „Kunstfehlerklinik“, jener Arztroman-Parodie, mit der Pohl seiner Leidenschaft für Literatur augenzwinkernd Ausdruck verleiht, oder dem ironischen, an
Mario Barth angelehnten und noch ein paar Zuspitzungen benötigenden Witz nach bewährt aufgeblasener Stand-Up-Art.
Häufig sind es Kleinigkeiten, die fehlen, um die „Beunfugung“ Pohls nachhaltig werden zu lassen. Etwa eine klingende Stimme bei den eingestreuten Liedern, die der gebürtige Dürener auf seinem
Akkordeon begleitet – warum er allerdings nicht zu der von ihm exzellent beherrschten Gitarre greift, erschließt sich nicht, hätte er doch so sicherlich manche Sprechpassagen besser umspielen
können. Stichwort Tempo. Aber gut, vielleicht ist das ja gar nicht gewünscht, soll das Programm gar kein durchgetaktetes und -komponiertes Pointen-Feuerwerk sein. Denn bei allen Modernisierungen
bleibt Pohl doch, wie er selbst eingesteht, im Herzen ein Komödiant der alten Schule. Und der lässt sich auch mal Zeit. Wie Pohl sich entscheidet, wird sich Ende März zeigen. Die eigentliche
Premiere von „Selfi in Delfi“ ist für den 21. März im Bahnhof Eschweiler geplant.
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