Singen wie am Fließband: Bei der „Nacht der Musicals“, die jetzt in der Bonner Beethovenhalle zu erleben war, kamen die Hits im Minutentakt. „Les Miserables“, „Tarzan“, „Jesus Christ Superstar“, „König der Löwen“, all die Klassiker auf einmal. Immerhin wollten die Produzenten offensichtlich die gesamte Bandbreite der deutschen Musical-Landschaft abdecken. Doch vor allem in der ersten Hälfte des Konzerts war dies zu viel: Gut 20 Titel in weniger als einer Stunde erlaubten keine große Dynamik, keinen Ausdruck, keine Kunst – sondern forderten Akkordarbeit. Masse statt Klasse. Songs im Dauerfeuer. Und je mehr die Show in Richtung Medley tendierte, um so schlimmer wurde es, wie ein katastrophales, zähes Falco-Mischmasch unter Beweis stellte. Dabei wäre dies alles gar nicht nötig gewesen. Denn mit den nötigen Freiräumen konnten die sechs Sänger sogar den ein oder anderen Gänsehaut-Moment erzeugen.
Schon vor einem Jahr war „Die Nacht der Musicals“ zu Gast in Bonn und konnte damals vor allem dank des exzentrischen, transsexuellen Wissenschaftlers Dr. Frank N Furter überzeugen. Der hatte auch
jetzt wieder seinen großen Auftritt – doch auch wenn es Martin Werth, der diesmal die Partie in Korsett und Strapsen übernahm, erwartungsgemäß gelang, das Publikum nach der Pause mit kecken
Sprüchen und einem Gang ins Publikum wieder einzufangen und ihm so richtig einzuheizen, hätten eine zusätzliche Dosis diabolischer Wahnsinn und ein bisschen weniger Tuntenhaftigkeit nicht
geschadet. Unterhaltsam war es dennoch, zumal endlich einmal nicht auf die Uhr geschaut wurde, sogar noch Zeit für ein Ständchen für Geburtstagskind Steffi blieb und die vorherige Hektik
ausblieb. Doch bei aller Kritik an diesem ersten Teil: In ihm fand sich neben belanglosem Tarzan-Gejodel und schauderhaften Rock-Epen (warum setzt man ausgerechnet den klassisch ausgebildeten
Alexander Diepold an eine für „Tanz der Vampire“ umgeschriebene Version von Meat Loafs dynamisch-energetischem, zwischen Flüstern und Röhren changierenden „Objects in the rear view mirror“?) auch
das musikalische Highlight des Abends. Kathy Savannah Krause bot mit „Memory“ ihr Meisterstück dar, setzte eigene Akzente, interpretierte statt zu imitieren, machte den Gesang der Glamour-Katze
Grizabella zu ihrem eigenen und sorgte so für Gänsehaut. Herrlich! Das exzellente „Schattenland“ aus „König der Löwen“ und Queens „Somebody to love“ fügten sich an diese Leistung nahtlos
an.
Auch Harvey James setzte auf Charakterrollen: Als Judas in „Jesus Christ Superstar“ (begleitet von tanzenden, sehr heißen Engeln) hätte er zwar durchaus noch zorniger sein dürfen, als Tod in
„Elisabeth“ machte er dagegen eine exzellente Figur. Melanie Walter zeigte sich derweil äußerst wandlungsfähig, sang sowohl „Totale Finsternis“ aus „Tanz der Vampire“ (immerhin ein alter
Bonnie-Tyler-Titel) als auch Evitas Hymne „Don't cry for me Argentina“ souverän, mal kratzig rockend und dann wieder klar schmetternd. Diese Vielfältigkeit hätte man sich auch von den beiden
klassischen Stimmen gewünscht: Vor allem Alexander Diepold musste mehrfach Stücke singen, in denen sein mächtiger Tenor nur bedingt passte. Andererseits konnte er an der Seite von Elvira Kalev
Cattaneo in so manchen Duetten glänzen: Die beiden begegneten sich etwa im „Phantom der Oper“ oder bei „Time to say goodbye“, vor allem letzteres ein wahrer Genuss. Die richtigen Stücke für die
richtigen Stimmen, ein wenig Zeit, um die Stücke auszusingen, schon klappt's auch mit dem Publikum. Das zeigte sich von Lied zu Lied begeisterter und ließ es sich bei der Zugabe, dem „Time Warp“,
nicht nehmen, selbst die Hüften kreisen zu lassen.
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