Normalität muss draußen bleiben. Schon im Eingangsbereich der maritim geschmückten Halle Beuel wird dies klar, dort wo ein Langustenmann umherstapft, Matrosen auf Liegen liegen und eine Sirene mit starrem Blick am Bug eines kleinen Bootes steht, während im Heck ein Trio leise von Robinson Crusoe singt. Es ist ein Lied von Rainald Grebe, das hier erklingt – und gleich darauf noch einmal, vom Dada-Meister persönlich dargeboten. Denn Grebe, der ohnehin anlässlich des Prix Pantheon in Bonn weilt, hat sich auf Bitten der Schauspielerin Sophie Basse kurzerhand auf den Weg über den Rhein gemacht, um im Rahmen der Reihe „Genießt es, wer weiß wann's wieder was gibt“ ein spätes, aber dennoch restlos ausverkauftes Konzert zu geben. Eines, das vieles ist, schräg, skurril, wahnsinnig, komisch. Nur eben nicht normal.
Bei Grebe ist die Absurdität Programm. Mit Rauschebart und Tütü bewehrt sitzt der 44-Jährige am Klavier vor den Aufbauten von „Herz der Finsternis“, den einen Fuß auf dem Haltepedal seines
Instruments, den anderen auf dem Bedienelement einer Nebelmaschine, die Grebe mit Leidenschaft einsetzt. Wenn er schon nicht mehr rauchen darf (so singt er zumindest), dann doch wenigstens
qualmen. Und zwar richtig. Und so verdecken dichte Schwaden zumindest für einen Moment den Blick auf die Realität, zu der Grebe ein paradoxes Verhältnis zu haben scheint, der er am liebsten
entfleuchen will und von der er doch nie loskommt. Er ist ein Träumer, aber kein Traumtänzer, einer, der mit den Mitteln der Groteske arbeitet, um das Sein aufzulockern, ohne es zu verleugnen.
Ganz im Gegenteil greift Grebe sogar zu kritischen Tönen, singt extra für Sophie Basse und ihre Kollegen, die die Veranstaltung organisiert haben, über die „Grenzkunst des Stadttheaters“: „Heute
bin ich König, morgen Bettelmann“, heißt es da, und alleine in diesem Satz schwingt weitaus mehr mit als nur der beständige Rollenwechsel. Die sich anschließenden zusammengestückelten Zitate von
fünf der bestbezahlten Regisseure Deutschlands, die Grebe gesammelt hat, wirken im Kontrast zu dieser unterschwelligen Melancholie abwechselnd selbstgefällig, irrational und zynisch. „Ich mach
Art“, heißt es da. Andererseits, behauptet Grebe das nicht auch von sich?
Überhaupt ist das Verhältnis von Rainald Grebe zur Kunst ein besonderes. In seiner Familie, so erzählt er, seien alle Beamte – nur er schlägt aus der Bahn. Erklärt den exaltierten Wahnsinn im
Programm. Und zugleich die fast schon wehmütige Stimmung, die manchen von Grebes Liedern zugrunde liegt. Er war der Außenseiter, der von Königin Schwermut eingefangene, unverstandene Sohn,
Spitzname Krümel, der verzweifelt nach Erfüllung suchte. Auch diese Bekenntnisse macht Grebe, in beinahe jedem Programm, wie eine Art Selbsttherapie – und wird trotz der mit Absurdität getränkten
Nebelschwaden verstanden. Selbst um Mitternacht lässt das Publikum Captain Krümel hochleben. Es will noch ein wenig länger durch das Traummeer schippern und bei der sich anschließenden Disco
abfeiern. Die Normalität? Muss eben weiterhin draußen bleiben.
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