So innovativ und so abwechslungsreich wie in diesem Jahr war die Bonner Theaternacht noch nie: Ein Open-Air-Theater, eine trinationale Produktion und eine Schreckenstour durch die Katakomben der Brotfabrik gehörten zu den Highlights des großen Festivals der Darstellenden Künste, das am vergangenen Mittwoch seine neunte Auflage feierte. Wie schon in den Jahren zuvor brach die Veranstaltung (diesmal unter der Schirmherrschaft von Schauspieler Rudolf Kowalski und Kulturdezernent Martin Schumacher) alle vorherigen Rekorde; 146 Programmpunkte in 37 Spielstätten lockten mehr als 3000 Besucher auf die Straßen und in die Bonner Bühnen. Vielerorts bildeten sich lange Schlangen, nicht immer konnten alle Theaterfans aus Platzgründen die Vorstellung ihrer Wahl besuchen. Doch bei dem reichhaltigen Angebot lauerte die nächste Überraschung oft nur wenige Meter entfernt.
In manchen Fällen lohnte es sich aber auch, mal eine etwas längere Fahrt zu machen. Etwa nach Dransdorf in die Grüne Spielstadt, das erstmals im Rahmen der Theaternacht bespielt wurde. Dort hatte
das Volkstheater-Ensemble der Brotfabrik seine Version von Tschechows Stück „Die Möwe“ präsentiert und das Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei hervorragend ausgenutzt. Während das Publikum, von
zwei Damen mit russischem Akzent und Megafonen angetrieben, von einem Spielort zum nächsten sputete, entfaltete sich die dramatische Geschichte um den jungen Autor Kostja (Nikolai Knackmuss), der
vergeblich versucht, seiner Mutter, der selbstverliebten Schauspielerin Arkadina (Petra Kalkutschke), sein Talent zu beweisen und zugleich vehement um die junge Nina (Kathrin Marder) wirbt. Die
Inszenierung faszinierte dabei vor allem von dem beständigen Aufbrechen der Theater-Realität und dem Einbeziehen des Publikums in selbige.
Ebenfalls neu und überaus eindrucksvoll war das auf italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln aufgeführte „Xeno ovvera l'antagonista“ der deutsch-italienisch-französischen
Theatergruppe G.I.F.T. Unter der Regie von Eugenia Fabrizi und Luca Paglia, der auch Autor des Stücks ist, setzt mit einer symbolträchtigen Bildsprache die Geschichte des Fremdenhasses in Szene.
Wenn Hunnen und Goten ans Tor des das römische Imperium umgebenden Limes klopfen und um Einlass gewähren, schwingt unweigerlich die aktuelle Flüchtlingsdebatte mit; und wenn die Liebe zwischen
Othello und Desdemona offenbart wird, ist der auch heute noch längst nicht überwundene Rassismus nicht weit.
Weiter ging es durch die Nacht. Überall Programm: Lesungen im Haus der Theatergemeinde Bonn, Tanz-Performances von bo komplex in der Halle Beuel, Speed-Acting im Euro Theater Central, eine
Freakshow in der Werkstatt des Opernhauses. In der Fabrik 45 brach theater@home Klassiker der Literaturgeschichte wie „Emilia Galotti“ oder „Dracula“ auf 30 Minuten herunter, im LVR Landesmuseum
mimte Kabarettistin Maryam Yazdtschi eine Eiszeitjägerin. Und die Brotfabrik? War fest in der Hand der Bonn University Shakespeare Company (BUSC). Drei Produktionen stemmte die Studententruppe
diesmal – und vor allem die „Villains & Victims Tour“ war ein logistisches, maskenbildnerisches und schauspielerisches Meisterwerk. Auf einer Führung durch das Gebäude traf das Publikum unter
anderem auf die sterbende Lady Macbeath, die prügelwütigen Stooges aus „Clockwork Orange“, die armamputierte Lavinia aus „Titus Andronicus“ und Mephisto persönlich. Eine blutige Horrorshow mit
starken Akteuren und herausragenden Effekten von Christine Essling und Eva-Lotte Hill, die bei den Teilnehmern der Tour durchaus Spuren hinterließ. Und das ist ja letztlich auch das Ziel der
Theaternacht.
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