Musik ist Veränderung. Eine so simple Aussage, und doch eine so komplizierte. Wandel und Wechsel sind essentielle Bestandteile einer jeden Melodie, die gleichsam selbiges auszulösen vermag, wenn sie nur stark genug ist. So überrascht es nicht, dass das Beethovenfest 2015, das an diesem Wochenende in Bonn eröffnet worden ist, die „Veränderung“ zum Motto erhoben hat. Geprägt nicht nur von musikalischen, sondern auch von konzeptionellen und politischen Perspektivwechseln (zu denen auch die Entscheidung gegen den Bau des lange geplanten Festspielhauses gehört, nachdem sich die Deutsche Post als letzter Hauptsponsor von dem Projekt verabschiedet hat) hat das einmonatige Klassik-Festival unter der Intendanz von Nike Wagner derzeit einiges zu verarbeiten. Es gilt, neue Wege zu gehen, manches neu zu denken. Es erscheint fast schon programmatisch, dass am Eröffnungsabend mit der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim eines der dienstältesten Orchester der Welt gekonnt zwischen der Bewahrung des Alten und dem Aufleben des Revolutionären wechselt – und dabei beides zusammenzubringen versteht.
Opulent, anstrengend, vielseitig, komplex und vor allem spannend zeigte sich der Eröffnungsabend. Nach Beethovens Egmont-Ouvertüre, bei der Barenboim und seine Staatskapelle vor allem
hinsichtlich Gefühl und Dynamik eine Meisterleistung darboten, sorgten Arnold Schönbergs Orchester-Variationen für einen deutlichen Gegensatz. Die zwölf heterogenen Passagen changierten zwischen
fast schon romantisch anmutenden bildhaften Momenten und fulminanten Dissonanzen, die auch fast 90 Jahre nach ihrer Entstehung alles andere als gewöhnlich sind und sowohl vom Orchester als auch
vom Publikum große Konzentration verlangen. Umso bemerkenswerter ist es, dass Barenboim die Partitur völlig auswendig dirigierte. Die abschließende erste Symphonie des britischen Komponisten
Edward Elgar setzt schließlich wieder einmal auf majestätische, gar hymnische Klänge – Kontraste, die hervorragend zu Barenboim passen, dessen Wirken davon geprägt ist, scheinbar Unvereinbares
zusammen zu bringen. Sein West-Eastern Divan Orchestra mit arabischen, israelischen und spanischen Mitgliedern ist das beste Beispiel, dass Musik auch gesellschaftliche Veränderungen bringen
kann. Umso bedauerlicher ist es, dass erst eine Woche zuvor ein geplantes Konzert der Berliner Staatskapelle in Teheran von der iranischen Regierung abgesagt wurde, weil Barenboim israelischer
Staatsbürger ist – ein Vorhaben, für das der Dirigent zuvor auch von Israels Kulturministerin Miri Regev kritisiert worden war. In diesem Konflikt werden wohl noch viele Noten erklingen müssen.
Vielleicht auch vom Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Meta: Es spielte einen Tag nach Barenboim in der Beethovenhalle.
Das Festival-Programm führt den Veränderungsgedanken konsequent weiter: Ein langes Wochenende ist den Diabelli- und ein einzelner Tag den Goldberg-Variationen gewidmet, während etwa die Bamberger
Symphoniker unter Juraj Valčuha mit Mauricio Kagels „Variationen ohne Fuge“ über die Händel-Variationen von Brahms das Spiel auf die Spitze treiben. Erstmals kommen auch Tanzproduktionen zum
Tragen, die dem „Avantgardisten“ Beethoven huldigen. Insgesamt eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, wenn auch mitunter eher akademisch denn emotional präsentiert, was längst nicht allen
Besuchern zusagt. Auch hier werden Veränderungen nur eine Frage der Zeit sein. Mit etwas Glück auf beiden Seiten.
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