Emotionen brauchen Nähe. Es hat seinen Grund, warum es sowohl zwischen Liebenden als auch zwischen Erzrivalen gerade dann am stärksten knistert, wenn sie sich Aug in Aug gegenüberstehen. Große Gefühle wirken eben nicht über große Distanzen. Schon gar nicht auf der Bühne. Genau dies hat Alice Buddeberg aber in ihrer Inszenierung von John Steinbecks Roman „Jenseits von Eden“ in den Kammerspielen Bad Godesberg versucht – und ist daran trotz einer an sich brillanten Bearbeitung in weiten Teilen gescheitert. Denn zwischen den geschickten Kommentierungen der beiden alt gewordenen Gegenpole Adam (Wolfgang Rüter) und Kate (Sophie Basse), zwischen den Dopplungen und Kreuzungen bei der Besetzung zweier Generationen und zwischen dem übertriebenen Spiel mit allerhand Äpfeln lassen die Schauspieler viel zu oft die erwartete Intensität von brodelnder Leidenschaft, Missgunst, Neid, Abscheu und Hass vermissen.
Es ist schon tragisch: Ausgerechnet das ganz bewusst und sinnvollerweise auf fünf Schauspieler und acht Rollen eingedampfte Familiendrama, das mit seinem Kain-und-Abel-Motiv an den mächtigsten
menschlichen Emotionen rührt, verliert sich in den zunehmenden Weiten der Bühne, bleibt blut- und seelenlos und offenbart die tiefe Krise, in der das Bonner Theater derzeit steckt. Ein
Kammerspiel in den Kammerspielen, das müsste doch eigentlich ein Selbstläufer sein. Selbst mit der Blümchenmustertapete, die zu Beginn die Behausung der beiden jungen Brüder Charles (Hajo Tuschy)
und Adam Trask (Sören Wunderlich) bis in die letzte Ecke schmückt. Doch schon auf diesem engen Raum schaffen es die Schauspieler, aneinander vorbei zu agieren. Zuneigung, Ablehnung, Bedrohung –
alles wirkt entweder eintönig oder überzeichnet, und nur sehr selten echt. Bis Cathy kommt, die junge Version von Kate: Sina Martens schafft es im Duett mit Sophie Basse, ihre eigene Geschichte
vom jugendlichen Feuerteufel über die jugendliche Prostituierte bis hin zur unfreiwilligen Mutter für Adams Söhne mit einer diabolischen Finesse zu füllen, die ihre Figur zum eigentlichen Dreh-
und Angelpunkt des Stücks macht. Mancher mag hinter ihrem immer wieder betonten Freiheitswillen nun einen hintersinnigen Feminismus vermuten – doch dieser verschwindet in dem Moment, in dem die
beiden Schauspielerinnen sich trennen müssen, Martens zu einer biederen Abra wird und Basse zu einer von Arthritis geplagten harmlosen Vettel, über die selbst Adam nur noch lachen kann.
Inzwischen hat sich die Bühne erweitert, hat sich geöffnet zum hellen, mit Äpfeln übersäten Kalifornien. Auch hier fehlt Leidenschaft: Ab und an mal ein leichtes Mienenspiel Wunderlichs (jetzt
als Caleb, den James Dean in Elia Kazans Verfilmung zum Prototyp des rebellischen Helden erhob), wenn Vater Adam (Rüter) mal wieder seine ganze Zuneigung auf den gelangweilten Aaron (Tuschy)
projiziert. Größere Regungen jedoch? Fehlanzeige. Die entstehen nur gegenüber dem überall herumliegenden Obst, das in typisch Buddebergschen Mätzchen permanent gegessen, geworfen und zermatscht
wird. So bleiben denn am Ende Ernüchterung und Enttäuschung: Auch das beste Figurenkonzept und ein kongenial zusammengestrichener Text funktionieren nicht ohne glaubhafte Gefühle. So gab es denn
auch bei der Premiere in den nicht ausverkauften Kammerspielen freundlichen, aber nicht euphorischen Applaus.
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