Wer war Mildred Scheel? Was war sie für eine Frau, abseits ihrer Funktionen als First Lady an der Seite des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel, Gründerin der Deutschen Krebshilfe und streitbare Ärztin von Weltrang? Diese Frage, so erzählte deren Tochter Cornelia im bis auf den letzten Platz gefüllten Kuppelsaal des Thalia Bonn, habe ihr eines Tages eine Zufallsbekanntschaft auf dem Flughafen Köln/Bonn gestellt. Die Antwort darauf findet sich in ihrem erst vor wenigen Tagen erschienenen Buch „Mildred Scheel. Erinnerungen an meine Mutter“, aus dem die Komikerin und Moderatorin Hella von Sinnen, die 25 Jahre lang mit der Autorin liiert war, mehr als eine Stunde lang Anekdoten und Reminiszenzen vortrug. Es handelte sich um die erste öffentliche Lesung dieser Art – und die machte Lust auf mehr.
Cornelia Scheel beschreibt ihre Mutter als resolute, selbstbewusste, meinungsstarke Frau, die schon als Kind ihre Puppen lieber sezierte statt ausstaffierte, um irgendwann einmal in die
Fußstapfen ihres Vaters, eines erfolgreichen Kölner Radiologen, treten zu können. Der unbändige Wille, anderen zu helfen, habe sie angetrieben, gepaart mit einem sich schon früh durchsetzenden
Dickkopf. „Zum ersten Mal rebellierte sie gegen die Fremdbestimmung im Kindergarten“, schreibt Scheel, die dazu auf Erzählungen ihrer Mutter zurückgriff. Auch Walter Scheel, selbst eine
durchsetzungsstarke und mitunter aufbrausende Persönlichkeit, biss bei seiner Frau, die er während eines Sanatoriumsaufenthalts kennenlernte, auf Granit, resignierte irgendwann, überließ Mildred
sowohl die Erziehung von Hund und Kindern und ertrug auch so manche Marotte der zutiefst abergläubischen Medizinerin. Ihr regelmäßiges Ritual, diverse im Schlafzimmer verteilte Figuren symbolisch
zu bespucken und mit ihnen zu klopfen, stellte Hella von Sinnen im Kuppelsaal nach – die Angst vor Gerüsten jeder Art, die sich auch auf die Kinder übertrug, bestätigte dagegen Cornelia Scheels
ehemalige Klassenlehrerin, die im Publikum saß und sich eine entsprechende herrliche Anekdote nicht verkneifen konnte.
Wie wenig sich Mildred Scheel um Konventionen scherte, war in den gelesenen Passagen allgegenwärtig. Auch ihr Herzensprojekt, die Deutsche Krebshilfe, trug diesen Wesenszug mit, wehrte sich die
engagierte Ärztin doch mit dem Aufbau von Selbsthilfegruppen und Forderungen nach einer übergreifenden Krebsnachsorge immer wieder gegen den damals noch stark verankerten Nimbus der Götter in
Weiß. Umso tragischer war es, als sie selbst von der tückischen Krankheit befallen wurde, eine Tatsache, die sie weitgehend für sich behielt – obwohl sie selbst diejenige war, die das Thema Krebs
enttabuisiert hatte. Cornelia Scheel erinnert sich noch gut an jenen Tag, an dem ihre Mutter sich ihr offenbarte. „Ich wusste instinktiv, dass dies das Todesurteil für meine Mutter bedeutete“,
schrieb sie.
Hella von Sinnen las die mitunter bewegenden, meist aber von bodenständigem Witz durchzogenen Texte in ihrer gewohnt energischen, leidenschaftlichen Art, somit perfekt zu Mildred Scheel passend.
Bei der Fragerunde am Ende der Veranstaltung ging es dann allerdings mehr um das Leben von Cornelia als Tochter des Bundespräsidenten mitsamt der oft störenden Sicherheitsvorkehrungen denn um
andere Belange. Doch auch hier wirkte Mildred Scheel nach: Als ein übereifriger Leibwächter die damals 14-jährige Cornelia ausgerechnet im jetzt als Thalia-Filiale fungierenden Metropol-Theater
aus einer Vorführung des Films „Bilitis“ (freigegeben ab 16) zerrte, sorgte ihre Mutter noch am selben Abend für dessen Versetzung.
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