Magische Wesen durchstreifen das Zwielicht, kommen hinter den Bäumen hervor, neugierig lauernd und kauernd, nur um dann doch eines nach dem anderen ins Rampenlicht zu treten und selbstbewusst nach oben zu streben, in jene Sphären, aus denen Ikarus fiel. Die spektakuläre Show „Varekai“ des Cirque du Soleil, die noch bis zum 22. November in der Lanxess Arena in Köln gastiert, spielt mit diesem Mythos, nutzt ihn als Initialzündung für eine Akrobatik-Präsentation auf höchstem Niveau – und schafft es trotz herausragender Einzelleistungen nicht vollständig, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Denn eine stringente Handlung fehlt in diesem Konzeptzirkus. Und somit auch ein entscheidendes Quentchen Zauberei.
Der Cirque du Soleil ist berühmt für seine thematisch ausgefeilten Shows, für ineinander verwobene Nummern mit prächtigen Kostümen und einer perfekt ausgeführten Choreographie. All das bietet
„Varekai“, die erfolgreichste Show des kanadischen Zirkus mit bislang mehr als acht Millionen Zuschauern, in Hülle und Fülle. Ein Augenschmaus, bei dem man kaum weiß, wohin man schauen soll. Da
die Lanxess-Arena extra verkleinert wurde, lassen sich auch Details erkennen, bleiben die exotischen Kreaturen nicht nur bunte Flecken, sondern sorgen für eine visuelle Ekstase. Was für Bilder:
Mal taumelt der geflügelte Netz-Künstler Fernando Miro in Richtung Boden, dann wieder wirbeln georgische Tänzer über die Bühne oder Artisten an Strapaten durch die Luft. Licht, Schatten, Nebel
und eine wunderbare multikulturelle Live-Musik schaffen dazu eine einzigartige Atmosphäre. Zu den Höhepunkten zählen mit Sicherheit die spektakuläre Stock-Jonglage der Japanerin Arisa Tanaka
sowie die atemberaubenden Russischen Schaukeln, dank derer Akrobaten einmal mehr zu schier unglaublichen Sprüngen ansetzen.
Alles also perfekt? Ja, für eine Nummern-Revue schon. Aber der Cirque du Soleil will bewusst mehr sein; doch genau das gelingt ihm in „Varekai“ nicht. Die angeblich so bewegende Geschichte bleibt
obskur und enigmatisch, die Charaktere farb- und bedeutungslos. Das Schicksal des Ikarus mündet irgendwann in einer Hochzeit, aber warum und nach welchen Hindernissen? Wo findet sich die im
Programmheft angepriesene Wiedergeburt, wo die Überwindung der Angst? Und warum wird beinahe jeder mystische Moment durch den abstrusen Himmelsbeobachter und den grummeligen Weisen mit seiner
Glühbirne auf dem Kopf ins Lächerliche gezogen?
Ohnehin spielt die Komik als Kontrast zu der hohen Kunst der Akrobatik eine große Rolle in der Show. Allerdings handelt es sich dabei fast ausschließlich um eine cartoonhafte Clownerie, die in
ihrer Überzeichnung schnell albern und banal wird. Schade, obwohl es auch in diesem Bereich echte Glanzlichter gibt. Vor allem die Jagd nach dem beständig fliehenden Licht zu der Musik von „Ne me
quitte pas“ ist brillant. In anderen Momenten wünscht man sich jedoch, dass der Cirque du Soleil es ein wenig ruhiger angehen lassen würde. Ein wenig feiner. Und magischer. Denn bei aller
Bewunderung für die Optik und die Artistik in dieser kurzweiligen zweistündigen Show bleibt am Ende nicht viel, was sich in der Seele festsetzt. Wie auch? Was „Varekai“ ermöglicht und
eindrucksvoll einfordert, ist das Staunen. Aber leider nicht das Träumen.
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